Söhne der Erde 23 - Jenseits Von Tausend Sonnen
Selbst kleinere Wesen müßten ihr Gewicht beim Gehen auf verhältnismäßig große Trittflächen verteilen.«
»Immerhin beruhigend«, sagte Charru trocken. »Die Spuren weisen auf die andere Seite der Richtung. Sollen wir ...«
Er stockte abrupt.
Neben ihm hatte Gerinth eine plötzliche Handbewegung gemacht. Der Blick des alten Mannes hing an einer Stelle am Rand der freien Fläche, wo der Saum des Vegetationsgebietes nur ganz schwach durch den Nebel schimmerte. Farne und halmartige Gebilde. Die riesigen Schirmpilze, die hier am üppigsten gediehen. Und vier, fünf blasse Schatten, die sich offensichtlich bewegten.
Charru hielt den Atem an.
Ein paar Sekunden lang rührte sich niemand, war nicht das geringste Geräusch zu hören außer dem leisen, steten Rieseln von Wassertropfen. Die Schatten dort drüben schälten sich gleich Nebelgeistern aus dem grauen Dunst, kamen zögernd näher, wurden deutlicher. Fremdartige Schatten, grotesk für die Augen der Menschen - und doch nicht erschreckend, da sie auf eigentümliche Weise als Teile dieser sanften, verschleierten Landschaft wirkten.
Nicht erschreckend für die Terraner, verbesserte sich Charru in Gedanken.
Die Flüchtlinge aus der Mondstein-Welt hatten auf der Erde viele fremdartige Wesen kennengelernt. Mark Nord und Dane Farr dagegen verharrten wie gelähmt vor Schrecken. Und die beiden Marsianer, die gewohnt waren, in jedem, der nicht ihrer eigenen Welt entstammte, einen gefährlichen Wilden zu sehen ...
Charru wandte den Kopf - zu spät.
Ein paar Sekunden hatte auch Jerome Crest starr dagestanden, jetzt explodierte die Panik in ihm. Mit einem erstickten Laut griff er zum Gürtel und packte die Waffe.
»Nicht, Crest!« zischte Charru.
Die Betäubungspistole flog hoch. Vermutlich würde sie keinen Schaden anrichten, doch hier, in dieser völlig fremden Umgebung, konnte man das so genau nicht wissen. Crests Gesicht verzerrte sich. Mit einem Schritt stand Charru bei ihm, schlug ihm die Waffe aus der Hand und umklammerte mit eisernem Griff seinen Arm.
»Dämlicher Marsianer!« fauchte Dane Farr - völlig ungeachtet der Tatsache, daß er selbst auf dem Mars geboren war.
Charru wandte sich um und spähte in den grauen, träge wallenden Nebel.
Die schattenhaften Gestalten waren wie ein Spuk verschwunden.
*
Die Gefangenen bekamen keine Gelegenheit, einen Blick auf die lichtüberflutete, farbentrunkene Hauptstadt des Uranus zu werfen.
Ein Transportschacht brachte sie ins unterste Geschoß der Klinik. Alle drei trugen Fesseln. Breite, elastische Kunststoffbänder, wie sie auch der marsianische Vollzug benutzte - nur wäre es auf dem Mars niemandem eingefallen, als Farbe ein leuchtendes Azurblau zu wählen.
Beryl, Gian und Brass hatten aufgehört, Gedanken an ihre Kleidung zu verschwenden, mochte sie zu den schwarzen Uniformen der Wachmänner einen noch so makabren Kontrast bilden.
Die drei Terraner schwiegen. Spannung beherrschte sie. Eine Spannung, die allmählich Resignation und Verzweiflung verdrängte. Als sie auf dem Merkur gefangengenommen wurden, hatten sie geglaubt, daß alles zu Ende sei. Vielleicht war wirklich alles zu Ende. Aber noch lebten sie, ihr Volk lebte - irgendwo mußte es weitergehen.
Der Transportschacht endete in einer Halle, von der ein halbes Dutzend Tunnel abzweigten.
Das Fahrzeug, in das die Gefangenen gestoßen wurden, lief auf einer Gleitschiene und hatte wenig Ähnlichkeit mit einem marsianischen Jet. Durch die Glaskuppel betrachtete Beryl die Tunnelwände, die in einem hellen, eigentümlich milchigen Blau schimmerten. Eis, dachte er ungläubig. Er wollte genauer hinsehen, doch im nächsten Moment wurde das Fahrzeug so beschleunigt, daß er nur noch ein fließendes Gleißen wahrnahm.
Eine zweite Halle, ein weiterer Transportschacht.
Er endete unter einer hellblauen Kuppel, die offenbar als Fahrzeughangar diente. In Augenhöhe verliefen Sichtfenster ringsum. Beryl warf einen Blick nach draußen und hielt unwillkürlich den Atem an.
Wie ein gigantisches Zelt erhob sich die schimmernde Kuppel von Kher im blauen, eigentümlich metallischen Dämmerlicht des Planeten. Linker Hand nahm sie das gesamte Blickfeld ein. Rechts war die kalte, düstere Ebene zu sehen, die sich dahinter erstreckte. Quer darüber zog sich eine flimmernde Linie, die sich Beryl nicht erklären konnte. Wie ein schnurgerader Strahl schien sie in die Unendlichkeit zu zielen. Erst auf den zweiten Blick war die ferne, winzige Halbkugel an ihrem Ende zu
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