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Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes

Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes

Titel: Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Wegner
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dem Elend geholt hatte, ohnehin nicht. Wenn Mica aus seinem unterirdischen Hort hervorkam, empfing ihn der Duft von Seifenlauge, Möbelpolitur und das Unglück seiner Tochter.
    Eine wächserne Blässe hatte die Schwellung ihrer Augen abgelöst. Die mädchenhafte Rundung ihrer Wangen war verloren, ihre Wangenknochen traten scharf hervor und ihre kleine, aufstrebende Nase war spitz geworden. Micas größte Befürchtung jedoch bestätigte sich nicht. Florines Appetit war die ganze Zeit über nicht gewichen, und so schloss er eine ernsthafte Erkrankung aus. Regelmäßig zur Mitternacht – er konnte seine Taschenuhr danach stellen – orderte Florine ein üppiges Menü. Die Köchin erhielt doppelten Lohn, damit sie auf Wunsch frisch zubereitete Mahlzeiten auftrug. Bei ihren ausufernden Gaumenfreuden leistete Mica ihr Gesellschaft. Nachdem Florine über Wochen nur das Nötigste gesprochen hatte, bestand ihr erster Ansatz zu einer längeren Unterhaltung in einem bitter hervorgestoßenen Vorwurf, den sie wohl der Gazette entnahm, in der sie während ihrer Schlemmerei las.
    »Madame Balbeuf ist tot!«, Sie warf die Zeitung von sich und fixierte Mica. »In ihrem Haus hat es einen Brand gegeben. Sie erstickte im Rauch. Warum hast du das gemacht?«
    »Wer ist Madame Balbeuf?«, erkundigte er sich und richtete seine Aufmerksamkeit auf eine kleine Suppenterrine, die ein treffliches Wurfgeschoss abgeben könnte. Sollte es dazu kommen, würde er sie zu Bruch gehen lassen. Ihm lag nichts daran, mit heißer Zwiebelsuppe übergossen zu werden.
    »In ihrem Haus verbrachte ich meine Kindheit, das weißt du! Du hast sie büßen und es nach einem Unfall aussehen lassen. An die Kinder unter ihrem Dach und welcher Gefahr du sie aussetzt hast, hast du nicht gedacht! Das ist niederträchtig!«
    »Ich zweifle stark, dass ihre Kamine gut funktionierten, Kind. Bei dieser Kälte hat sie vermutlich ihre Kammer zu stark geheizt. Ich jedenfalls neige nicht dazu einen Störenfried aus der Welt schaffen, indem ich Brände lege.«
    »Das kannst du erzählen, wem du willst«, fauchte sie ihn an und wandte sich einer Schale mit überbackenen Muscheln zu. Sie nahm eine große Gabel voll und kaute wild darauf herum.
    »Liebes, ist es nicht allmählich an der Zeit, deinen Groll mir gegenüber hintan zu stellen? Wir müssen uns unterhalten. Über deine Zukunft.«
    »Morgen suche ich Madame Chrysantheme auf.«
    Zwar war dies ein kurz gefasster Zukunftsplan, aber nach den vergangenen Wochen immerhin ein erstes Vorhaben, das sie sich gesetzt hatte. Mica griff es umgehend auf.
    »Das ist eine sehr gute Idee. Ich würde gerne sehen, wohin das Vermögen geflossen ist, das diese Frau mich gekostet hat.«
    »Du wirst mich nicht begleiten«, schnappte sie nach ihm. »Auch Saint-Germain wird sich diesmal nicht an meine Fersen heften. In Gustave habe ich einen zuverlässigen Kutscher, und ich gedenke nicht, mich auf Schritt und Tritt beobachten zu lassen, sobald ich das Haus verlasse.«
    Dass sie das Haus verließ, war allein ein großer Fortschritt, und so erhob Mica keine Einwände.
    »Ganz wie es dir gefällt.«
    Florine gefiel es, den kurzen Wortwechsel für beendet zu erklären und widmete sich ihren Speisen, deren Platten und Schüsselchen die Hälfte des Speisetischs vereinnahmten. Ihr übermäßiger Hunger verblüffte Mica immer wieder. Es schien ein Vernichtungsfeldzug, der erst mit dem letzten Krümel endete. Florine wurde von dem Heißhunger einer Lamia beherrscht, obgleich sich der ihre nicht auf das Blut ihrer Opfer richtete. Er erlaubte sich ein verstohlenes Lächeln. Seine Tochter begann, sich mit ihrer Herkunft abzufinden, indem sie ihren Neigungen die Zügel schießen ließ. Sehr bald würde sie dazu übergehen, ihm die ersten Fragen zu stellen. Er war bereit sie zu beantworten, und sie mit einem Angebot zu beschließen, welches sie nicht ablehnen konnte. Er kannte keinen Sterblichen … Marie kam ihm in den Sinn. Sie hatte seinerzeit abgelehnt. Andererseits lag der Fall dieses Mal anders. Er würde seinem Kind nicht allein das ewige Leben schenken. Es war ein weitaus größeres Geschenk, das er ihr zugedacht hatte.

     
    Beim Anblick der Ornamente auf der hellen Hausfassade hätte Florine am liebsten kehrt gemacht. In diesem Haus hatte es seinen Anfang genommen. In seinem Inneren - prächtiger denn je zuvor war es geworden - verbargen sich zu viele Erinnerungen. Drei Monate lag es zurück, als ein ihr fremder, nahezu nackter Mann sie auf die Schulter

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