Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
Befehl, machte Gilian einen Satz auf ihn zu und verbiss sich wahrhaftig in seinen hastig gehobenen Unterarm. Nicht so fest, um den Knochen zu brechen, doch energisch genug, um Blut fließen zu lassen. Cassian schlug mit der Faust auf Gilians breiten Schädel ein, ohne etwas bewirken zu können. Sein Bruder wollte ihn zurücktreiben, ihn nicht hinauslassen unter das Licht des Vollmondes.
»Gottes Knochen, Gilian!«
Die Faust erhoben, um sie Gilian auf die empfindliche Nase zu schmettern, berührte etwas Heißes seine Kehle. Sein Fleisch zischte, und jäh roch es verbrannt. Sein Aufschrei löste Gilians Zähne von seinem Arm.
»Du wirst nicht hinausgehen und dich der Bestie ausliefern.«
Juvenal hielt den Silberdolch weiterhin auf Cassians Kehle gerichtet, ohne sie zu berühren. In der Dunkelheit des Ganges wirkte sein schweißfeuchtes Gesicht wie ein Totenschädel mit hohlen Wangen und schwarzen Augenhöhlen. Die Hand, in der er den Dolch hielt, zitterte nicht.
»Seid ihr beide wahnsinnig geworden? Gilian ist außerstande sich zurückzuverwandeln und du bedrohst mich mit Silber.« Cassian rieb über seine Kehle.
»Du bist es, der sich nach dem Wahnsinn sehnt, Junge. Doch bevor ich das zulasse, töte ich dich. Du wirst die Bestie nicht in Paris wüten lassen. Du kehrst zurück in dein Gelass und wirst dich mit dem abfinden, was geschehen ist.«
»Ich verlasse Paris.«
»Das ist deine Entscheidung. Heute Nacht jedoch wirst du weder Paris, noch dieses Haus verlassen. Wir haben unser Leben nicht in die Waagschale geworfen, damit du zu einem neuen Schrecken dieser Stadt wirst.«
Als wolle Gilian das bekräftigen, knappte er Cassian in die Waden. Die Bisse der spitzen Zähne und der Dolch seines Vaters drängten ihn zurück, tiefer in die Dunkelheit des Ganges hinein und in das Gelass, aus dem er gekommen war. Juvenal stieß ihn kraftvoll über die Schwelle und schlug die Tür zu. Mehrere Riegel schnappten zu. Cassian stieß sich von der Wand ab, gegen die Juvenals Stoß ihn geschleudert hatte, und hämmerte mit den Fäusten gegen die verstärkte Tür.
»Mach sofort diese verfluchte Tür wieder auf, Juvenal!«
Stille antwortete ihm. Die verstärkten Riegel hielten seinen mit aller Kraft geführten Faustschlägen stand. Feuchtigkeit rann über seine Hände. Er leckte darüber, schmeckte sein eigenes Blut und warf den Kopf in den Nacken. Sein Jaulen dehnte sich in unendliche Tiefen, und vor der Tür vernahm er die Antwort seines Bruders Gilian, ein schwacher Abklatsch seiner eigenen Frustration.
10
D
ie Bereitschaft der Menschen zu Unterordnung und Gefälligkeit war für Mica zu selbstverständlich, um sie in Frage zu stellen, und so machte ihn Florines Mangel an beidem ratlos. Unzugänglich und nicht bereit, sich trösten zu lassen, vergoss sie wahre Tränenfluten. In ihnen hätte er den Werwolf und Auslöser ihres Kummers mühelos ertränken können. Über Wochen waren die Augen seiner Tochter geschwollen und rot, so dass sie kaum etwas sehen konnte. Sie verbarrikadierte sich selbst dann noch in ihren Zimmern, nachdem er ihr vorgeführt hatte, wie gering das Hindernis von Schlössern und Riegeln für ihn war. Ihr Widerspruchsgeist und ihr enormer Wille erschöpften sich in einem Daueraufenthalt in ihrem Bett. Jeder Versuch sie aufzumuntern, schlug fehl. Seine Lieder konnten sie nicht besänftigen, stattdessen presste sie die Hände oder Kissen an ihre Ohren. Sobald Mica das Gespräch mit ihr suchte, konnte er davon ausgehen, dass irgendein Gegenstand nach ihm geworfen wurde.
Im Oktober war es ausgerechnet Saint-Germain gelungen, Florine aus ihrer tiefsten Lethargie zu reißen, indem er ihr eine Schar abgerissener Menschen zuführte, die er in den Armenvierteln der Stadt aufgelesen hatte. Aus diesem Gossengesocks sollte sie eine versierte Dienerschar machen, wozu sie aus ihrem Bett steigen und sich einer neuen Aufgabe zuwenden musste. Die Finte funktionierte und zum Dank erhielt Saint-Germain einen großen Schluck Blut aus Micas Handgelenk. Seitdem vibrierte sein treuer Gefolgsmann vor Freude und Tatendrang.
Mit den Dienstboten kehrte Unruhe in das Haus ein. Den ganzen Tag über war ein Trappeln und Klappern, Geschwätz und Lachen zu hören. Der Lärmpegel aus Kochtöpfen, Putzeimern und Stimmen legte sich erst zur Nacht, wenn die Dienstboten ihre Unterkünfte unter dem Dach aufsuchten. Den Hausherrn bekamen sie selten zu sehen, und Fragen wagten sie ob ihres großzügig bemessenen Lohnes, der sie aus
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