Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
und zügelte seine Ungeduld. Mica würde alles daransetzen, für sich selbst die größten Vorteile herauszuziehen, und die bevorstehende Unterredung würde Cassian alles an Geistesgegenwart abverlangen.
»Florine ist beachtlich, das ist dir hoffentlich bewusst. Sie hat einen Mut bewiesen, der den meisten Sterblichen abgeht.«
Cassian hüllte sich in Schweigen. In seinen Augen besaß Florine einen ganz eigenen Wert, der weder durch Mut noch durch andere Tugenden gesteigert werden konnte.
»Welches dieser armselig schwachen Geschöpfe wäre je soweit gegangen, sich in einen Kampf zwischen Namenlosen und zu Bestien gewordenen Werwölfen einzuschalten? Wahrlich, mir ist noch kein einziger Sterblicher begegnet, der das von sich behaupten kann. Florine hingegen sprang aus meiner Kutsche und rannte schnurstracks auf eine Bestie zu, da sie dich darin erkannte. Das für sich genommen ist ein Wunder, denn die Ähnlichkeit war gering. Genau genommen, war sie nicht vorhanden.«
Die Wirkung von Micas kurzer Rede entfaltete sich langsam. Aus einem schwachen Wellenschlag wurde eine alles mit sich reißende Woge, die Cassian unter sich begrub. Die Irritation der vergangenen Nacht war Florine gewesen. Vor ihm blitzte ein Bild auf, von einer kleinen Gestalt, die auf ihn zu rannte. Die Bestie hatte sie nicht erkannt, sondern nur eine Fremde hinter einemScharlachschleier aus Mordlust wahrgenommen. Ohne Gewissensbisse hätte sie Florine getötet und er hätte erst viel später erfahren, was er angerichtet hatte. Cassian nahm an, dass Mica eingeschritten war.
»Weshalb hast du sie dorthin gebracht?«, fragte er mit tauben Lippen.
»Sie ließ sich nicht abbringen«, erwiderte Mica und trank von seinem Wein. »In ihrer Hartnäckigkeit erinnert sich mich an eine Frau, die mir teuer war. Ihr Name war Marie Brel. Sie war von demselben Willen beseelt. Um meinetwillen verließ sie ihre Familie, ihre Freunde und ihre Heimat. Furcht vor mir kannte sie nicht. Sie hat ihr Leben mit dem meinen verbunden und wurde meine Gemahlin.«
Alarmiert straffte Cassian die Schultern. »Florine ist meine Gefährtin. Wenn du glaubst …«
»Marie war ein unscheinbarer Mensch – auf den ersten Blick. Den meisten wurde nicht offenbar, was in ihr steckte. Sie besaß das Herz einer Löwin und den Kampfgeist eines Kriegers. Daher muss ich meine Worte korrigieren. Florine ist nicht der erste Mensch, der sich den Namenlosen entgegenstellte. Auch das hat sie mit Marie gemeinsam. Meine Gemahlin setzte ihr Leben ein, um das ihres Kindes zu retten. Daher gedenke ich nicht, mit dir um Florine zu kämpfen, denn von ihrer Geburt an war sie ein Teil von mir und wird es immer bleiben.«
Was der Vampir da andeutete, konnte nicht sein. Es durfte nicht sein. Orientierungslos schweifte Cassians Blick über die Bücherstapel und die Regal, hinauf zu dem sich drehenden Sonnensystem aus Gold und Silber. Die Planeten kreisten um sich selbst und umeinander, während in ihm alles zum Stillstand kam.
»Willst du etwa behaupten …?«
»Sie ist meine Tochter. Das ist weder eine Behauptung, noch eine Lüge, sondern eine Tatsache. Weshalb, glaubst du, konnte sie dein Interesse wecken? Seitdem dein Vater dir Paris vermacht hat, bedienst du dich der schönsten Frauen, Werwolf. Meine Tochter ist ein hübsches Kind, doch den langbeinigen, fragilen Rehen, denen du nachgestellt bist, ähnelt sie absolut nicht. Bist du jemals einer Lamia begegnet, Cassian? Ich nehme es nicht an, sonst würdest du heute nicht hier sitzen.«
Wieder schien der Themenwechsel abrupt, und Cassian hatte Schwierigkeiten zu folgen. Florine war die Tochter eines Vampirs, an nichts anderes konnte er denken. Daran und an die Konsequenzen. Es war nahezu unmöglich sie zu fassen, sie sich vor Augen zu führen. Der Versuch drückte in nieder und hinterließ ein Gefühl der Leere. Die Erwähnung der Lamia schreckte ihn auf.
»Sie ist keine Lamia.«
»Sie verfügt über eine Eigenschaft, die sie mit der Lamia gemein hat, Werwolf. Es ist ihr Duft. Er ist eine unverzichtbare Waffe, die nie versagt. Meine Mutter benötigte einst ihren Duft und einen kleinen Silberdolch, mehr nicht. Mit dem einen lockte sie die Werwölfe zu sich, mit dem anderen durchschnitt sie ihre Kehlen. Ich bin mir nahezu sicher, dass ihre Opfer selbst im Sterben darauf achteten, sie nicht mir ihrem Blut zu besudeln. Nun kennst du den Grund, weshalb du meinem Kind nicht widerstehen konntest und sie gar markiert hast, Werwolf.«
Der Duft nach
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