Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
seinen Bruder soweit beschwichtigte, dass er sich ein Stück mit ihm entfernte und sein pelziges Hinterteil auf den Boden setzte.
Anstatt zu Klettern wurde der Abstieg aus dem Birnbaum eine Rutschpartie, bei der sie strauchelnd auf festem Erdreich ankam. Ruben streckte nicht die Hand aus, um sie zu stabilisieren, und der Wolf schien sogar zu grinsen.
»Was suchst du hier, Vampirkind?«, fragte Ruben verächtlich.
Der Wolf sah zu ihm auf und knurrte.
»Was denkst du wohl? Ich suche Cassian. Ich muss mit ihm reden.«
»Cassian hat noch vor dem Wintereinbruch Paris verlassen. Er kommt nicht mehr zurück. Das kannst du deinem Vater ausrichten. Er wird begeistert sein, wie leicht Paris an ihn zurückgefallen ist. Sein Glück wird allerdings nur so lange währen, bis ein anderer Alpha die Gelegenheit ergreift und sich dieses Revier aneignet.«
Ihr Ärger über die unwirsche Begrüßung und den Empfang durch einen Wolf, der sie auf einen Baum gescheucht hatte, wich herber Enttäuschung. Vergeblich hatte sie sich ihre Begegnung, die Wirkung ihrer frohen Botschaft, ihre Versöhnung ausgemalt. Cassian war nicht länger in der Stadt und ihre Hoffnungen sollten Wunschträume bleiben. Um sich nicht allzu viel vor Ruben anmerken zu lassen, stellte sie eine Frage, die sie im Grunde nicht interessierte.
»Gehört Paris jetzt dir?«
Ruben verzog die Lippen. Sie waren sinnlich, voller als Cassians Mund, und ohne seine markanten Züge hätten sie ihn weibisch wirken lassen.
»Ich lege keinen Wert auf Paris oder ein anderes Revier, Mädchen. Ich bin lediglich noch hier, weil ich meinen Bruder nach England zurückgeleiten werde – sobald er dazu in der Verfassung ist. Mit einem Wolf zu reisen ist nicht unbedingt einfach.« Augen, deren Farbe zwischen Grün und Grau changierte, bohrten sich in Florines Blick. »Tja, eigentlich geht dich das alles nichts an. Ist wohl typisch, dass ein Werwolf vor Micas Tochter ins Schwafeln gerät. Geh nach Hause, Mädchen. Du hast hier nichts zu suchen.«
Ruben wandte sich ab, und der Wolf folgte ihm auf das Haus zu. Sie ließen sie einfach im Graupelschauer stehen. Tränen brannten unter Florines Lidern. So schnell wollte sie sich nicht dreinfügen. Sie setzte den beiden nach.
»Ruben! Ich muss mit Cassian sprechen. Wo finde ich ihn?«
»Hörst du das, Gil? Sie klingt wie unser Vater.« Er sah über die Schulter zurück. »Cassian ist auf unserem Familiensitz in der Auvergne. Lass ihn zufrieden, Mädchen. Du hast schon genug Unheil über unsere Sippe gebracht.«
Das hatte sie nicht! Unglück und Kummer resultierten daraus, dass sie Cassian viel zu lange zufrieden gelassen hatte.
»Wo in der Auvergne? Wie heißt der Ort?«
»Es gibt keinen Ort in der Nähe. Er ist oben im Zentralmassiv, und dort liegt vermutlich zu viel Schnee, um zu dieser Jahreszeit dorthin zu gelangen.«
Nachdem er dies gesagt hatte, wollte er kurzerhand die Tür vor ihrer Nase zuschlagen. Geschwind setzte sie ihren Fuß in den Spalt und hinderte ihn daran. Abermals traf sie ein eiskalter Blick aus schmalen Augen. Sie ließ sich davon nicht beirren. Es war nicht an Ruben darüber zu entscheiden, ob sie Cassian wieder sah oder nicht. Eine Chance, mehr verlangte sie nicht. Eine Chance, ihre Liebe zurück zu gewinnen.
»Ich erwarte sein Kind. Er muss es wissen. Mehr will ich nicht, nur dass er davon weiß.«
Hörbar zog Ruben die Luft ein. Dann stieß er den Atem aus, wischte sich das feuchte Haar zurück und ließ sie eintreten. Wortlos ging er voran in die Bibliothek, entrollte eine Landkarte und wies mit dem Finger darauf. Es lag wirklich mitten im Massiv der Auvergne, fernab jeder Ortschaft. Florine prägte es sich ein.
»Danke, Ruben.«
»Ich habe nichts gesagt.«
»Und ich habe nichts gehört«, stimmte sie zu und ging ohne ein Wort des Abschieds davon, hinaus in den Graupelschauer, der zugenommen hatte und ihr in Böen unter die Kapuze fegte.
Ein Rumpeln weckte Mica aus seinem Schlummer. Mit geschlossenen Augen spürte er dem Kitzeln auf seinem Brustkorb nach, ohne zu wissen worum es sich handelte. Als er Saint-Germains schmetterndes Organ hörte, schlug er die Augen auf und sah direkt in das Gesicht eines sehr anziehenden, jungen Mannes.
»Ich liebe Euch«, gestand dieser.
Mica gab nichts auf diesen Liebesschwur, zumal Saint-Germains Stimme ihn zu sehr ablenkte.
»Nicht doch! Durchlaucht, das geht nicht an! Nein, ich lasse es nicht zu! Ihr werdet umgehend damit aufhören!«
Hölle, offensichtlich
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