Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
nächsten Morgen würde er sich selbst belächeln. Aber ehe er sie vergaß, musste er sie erst besessen haben. So war es immer, und da er dies wusste, nützte es nichts seine Ausgabe zu bereuen.
Prüfend wurde Cassian von dem Mädchen auf der Treppe in Augenschein genommen, wobei sie gewichtig ihren Hals reckte und um einen Fingerbreit wuchs.
»Weshalb habt Ihr nicht selbst geboten, Monsieur?«
»Kann es sein, dass indiskrete Fragen in diesem Haus keiner Antwort bedürfen?«, konterte er.
»Mit allergrößtem Verlaub«, betonte die Kleine und reckte sich noch ein kleines Stück mehr. »Dieselbe Frage würde Florine Euch stellen, und da ich an diesem Abend ihre Aufgabe übernommen habe, bin ich verpflichtet, ihr in allem nachzueifern.«
»Sei schon still, Giselle.« Die Kurtisane, die aus dem Obergeschoss kam, war groß und besaß die Figur eines Knaben. Ein Ruck ihres Ellbogens drängte Giselle beiseite. »Sie nimmt sich heute furchtbar wichtig. Ich kann bezeugen, dass dieser Herr den Schuldschein unterzeichnete. Sein Anspruch ist berechtigt. Bringe ihn zu Florine. Sie ist soweit. Sie hat eines der schönsten Zimmer für die heutige Nacht ausgewählt, Monsieur. Ich hoffe, es trifft Euren Geschmack.«
So leicht wollte Giselle nicht von ihrer Pflicht ablassen. Sie hob sich auf die Zehenspitzen, drückte das Mädchen an der Schulter zu sich und wisperte ihr ins Ohr. Weder Cassian noch Ruben entging, was sie sagte.
»Aber sie wollte den anderen, Sybille.«
Ein ungekünsteltes Lächeln erhellte Sybilles eckige Züge. Sie verstand sich auf die Kunst der Rede, ohne nennenswert die Lippen zu bewegen. »Ob den einen oder den anderen, einen Grund zur Klage wird sie nicht finden. Es sind prächtige Mannsbilder. Ich würde alle beide nehmen.«
Die geflüsterte Unterredung endete damit, dass die Mädchen Cassian und Ruben anstrahlten, ohne sich vom Fleck zu rühren. Sie mussten erst daran erinnert werden, dass der Gewinner der Versteigerung nicht hier war, um sich am Fuß einer Treppe die Beine in den Bauch zu stehen.
»Wenn es genehm ist, gehe ich voran. Bitte folgt mir.«
Als Giselle sich umdrehte, wurde aus ihrem züchtig hochgeschlossenen Kleid eine Versuchung. Auf ihrem Rücken teilte sich die Seide. Der tiefe Ausschnitt schloss in einem großzügigen Bogen knapp unter ihrer Pospalte. Sie besaß ein entzückendes Hinterteil, das durch ihren Hüftschwung von einer Seite auf die andere schwenkte. Cassian richtete den Blick darauf. Den Weg zu Florine nutzte das Mädchen zu einem Plausch.
»Diese Versteigerung war Florines erste und letzte. Daher hat diese Nacht Seltenheitswert. Nun ja, vielleicht besinnt sie sich anders. Kommt ganz darauf an«, piepste sie über die Schulter und zwinkerte Cassian zu. »Eine Jungfrau ist sie nicht mehr. Vor zwei Jahren hat sie sich an Lucas vergeudet. Unentgeltlich. Ist das zu fassen?«
Die blonden Löckchen an Giselles Hinterkopf flogen von links nach rechts. Gleichzeitig ruckte ihr Hintern von rechts nach links. Sie hatten das Ende des langen Ganges erreicht und nahmen im Schneckentempo die nächste Treppe. Oben angelangt, mussten sie dieselbe Strecke zurück laufen. Sie wurde noch langsamer.
»Natürlich besteht kein Zweifel, was Aussehen und Wuchs angeht könnt Ihr Euch mit Eurem Freund messen. Er hat ein auffallend anziehendes Gesicht.« Sie versuchte, einen Blick unter Cassians Dreispitz zu erhaschen. »Andererseits ist Florine eigen. Wie ich andeutete, ist sie keine Kurtisane. Ich halte es für ratsam, sie auf die veränderten Umstände vorzubereiten. Sicherlich stimmt Ihr mir darin zu.«
Cassian enthielt sich jeglicher Zustimmung. Endlich waren sie am Ende des Ganges vor einem Zimmer angekommen. Er hinderte Giselle daran, an der Tür zu kratzen und schob sie aus dem Weg. Der Disput auf der Treppe, ihre Gemächlichkeit und ihre Piepsstimme hatten seine Geduld aufgebraucht. Er wollte nicht länger warten.
»Du kannst gehen. Vielen Dank.«
Den Kopf in den Nacken gelegt, himmelte sie ihn an und dachte nicht daran, seiner Aufforderung zu folgen. Die Münze, die er ihr in die Hand drücken wollte, schlug sie aus.
»Wie es Euch beliebt. Sollte Florine Euch nicht zusagen, so findet Ihr mich in der Beletage.«
Nach diesem hervorgepiepsten Angebot, schlenderte sie in aufreizender Langsamkeit davon.
Tapeten, Vorhänge und Betthimmel besaßen die Farbe von Rosenholz. Auf allen verfügbaren Flächen brannten Kerzen in sechsarmigen Goldkandelabern. Auf die Laken waren
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