Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
blickte von oben in das Vestibül herab. Niemand zu sehen. Von der Empore zweigten drei Gänge ab. Das Bodenmosaik schien sich in jedem davon in unendliche Weiten fortzusetzen. Welchen Gang sollte sie nehmen? Sie sah in jeden hinein. Die Wahl wurde ihr leicht gemacht, da in einem Gang eine der dunklen Türen klaffte. Das traf sich ausgezeichnet. Auf leisen Sohlen näherte sie sich, schob die Tür weiter auf und gefror auf der Schwelle.
Was hatte sie sich nur gedacht? Sie hatte einen unentschuldbaren Fehler gemacht. Die Erklärung, warum Cassian de Garou Überraschungsbesuch nicht schätzte, lag vor ihr. In Form seiner selbst auf einem fransenbesetzten Diwan. Lediglich seine langen Beine waren zu sehen, und eine dunkle Hand auf der Wölbung seines Schritts. Der Rest von ihm verbarg sich unter einer Frau, deren Hinterkopf einen Blick auf sein Gesicht verwehrte. Der Chevalier besaß eine große Bibliothek, doch er hielt sich nicht damit auf, in seinen Büchern zu lesen.
Sie war sich sicher, dass sie kein Geräusch gemacht hatte. Ohnehin war sie dazu nicht fähig, da ihre Stimme ihr nicht gehorchen wollte. Trotzdem drehte die Frau sich zu ihr um und erhob sich. Ihre Haut war noch dunkler als die von Aimée, die Züge aus Ebenholz geschnitzt. Ihre Schönheit führte Florine die eigenen Unzulänglichkeiten vor Augen. Hitze stieg in ihr auf. Zweifelsohne wurde sie einem gekochten Hummer immer ähnlicher, je länger sie herumstand.
Cassian kam auf die Ellbogen. Aus der Verärgerung in seiner Miene wurde Verblüffung. Ihre Gegenwart war absolut unangebracht. Sie wusste es.
»Florine, was …?« Er musste sich räuspern.
Es war ein Impuls, der sie in Bewegung setzte. Das machte alles nur noch schlimmer, aber sie konnte nicht anders. Sie war wütend über ihn und ihre eigene Dummheit. Die Stiefel und das Kleiderbündel erhoben ging sie auf Cassian zu. Zuerst schleuderte sie das Bündel nach ihm. Es teilte sich in der Luft und traf sein Gesicht. Die Schuhe verfehlten ihn knapp.
»Hier sind Eure Sachen, Monsieur. Ihr habt sie bei Eurem überstürzten Aufbruch vergessen.«
Die dunkelhäutige Grazie gluckste. Auf dem Absatz machte Florine kehrt und stürmte davon. Aufgewühlt, peinlich berührt und dummerweise zutiefst getroffen.
»Florine.«
Sie rannte und schlidderte die Treppe hinunter.
»Florine, so warte doch.«
Er wollte überhaupt nicht, dass sie wartete. Vielmehr folgte er ihr nur, um sich davon zu überzeugen, dass sie den Ausgang fand, sonst hätte er sie längst eingeholt. Sie stürzte in den Hof hinaus. Ihre Flucht auf die Straße wurde von einer Kutsche vereitelt, die den Torbogen blockierte. Florine schlug einen Haken und preschte um die Hausecke.
»Cassian! Wer ist das?«, verfolgte sie das Donnern einer herrischen Stimme.
Aus dem Nieselregen war ein Platzregen geworden, was sie erst merkte, als sie die nächste Ecke nahm und die Nässe durch ihr Kleid drang. Sie wusste nicht, wohin sie sollte. Eine Umkehr war ausgeschlossen. Sie musste das Haus umrunden, wenn sie das Tor erreichen wollte. Und das wollte sie unbedingt. Ihr Fuß glitt in einer Pfütze aus, und ihr Oberkörper kippte nach hinten. Er packte sie unter den Achseln, stabilisierte sie und drehte sie um.
»Florine, was soll das?«
Stur blickte sie unter sich und stellte fest, dass Cassian in den Regen gelaufen war, ohne Strümpfe oder gar Schuhe überzuziehen.
»Was machst du hier? Wie bist du überhaupt hierher gekommen?«
Unter all diesen Fragen fühlte sie sich erbärmlich. Sollte doch Bertrand ihm brühwarm und zu ihren Ungunsten den Sachverhalt erklären. Sie hatte eine Grenze überschritten, die es zu wahren galt. Nicht einmal Kurtisanen, die von einem einzelnen Galan ausgehalten wurden und große Freiheiten genossen, kamen auf die Idee, in das Haus ihres Gönners und seine Privatsphäre einzudringen. Der Chevalier de Garou hatte einen Preis entrichtet und sie im Gegenzug eine Aufgabe erfüllt. Es war ein Geschäft. Er hatte es selbst so genannt, und dem gab es absolut nichts hinzuzufügen.
»Kannst du mir wenigstens erklären, weshalb du Stiefel nach mir wirfst und dann einfach davonrennst?«
Was für ein ungeduldiger, launischer Mann! Von ihrer Hutkrempe pladderte Wasser und noch mehr Wasser gesellte sich dazu, und er fauchte sie schroff an. Übellaunig und unordentlich. Sein Haar wellte sich im Regen, eine Strähne hing über seine Augen und er trug nicht einmal eine Weste. Gut, Hemd und Hose waren immerhin besser als
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