Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
nicht.«
»Woher wollt Ihr wissen, dass es Eure Mutter war, die Euch aussetzte?«
Seine Befragung machte sie wütend. Was dachte sich dieser Mann eigentlich? Nur weil er Aristokrat war und sie nicht, hatte er kein Recht, sie auszuquetschen.
»Der Heilige Geist war es gewiss nicht, Monsieur! Es soll arme Menschen geben, die durch ihre eigenen Kinder noch tiefer in die Armut stürzen. Eventuell habt ihr schon davon gehört. Ihr begegnet ihnen an jeder Straßenecke. Meine Mutter oder mein Vater, es macht keinen Unterschied. Sie wollten mich loswerden.«
»Und ein Kirchendiener übergab Euch der Obhut eines Bordells?«
Für Männer seines Standes waren solche Schlüsse bezeichnend. Sie konnten sich die Dienste eines verruchten Hauses leisten und kamen somit stets auf die Wünsche und Phantasien zurück, die ihnen dort erfüllt wurden. Seine Einschüchterungsversuche wurden lästig. Sie dachte nicht daran, sich ihrer Herkunft zu schämen. Sie war arm und entstammte dem Bodensatz der Pariser Bevölkerung, ein Schicksal, das sie mit den meisten Menschen in Paris teilte.
»Madame Balbeuf nahm sich meiner an, Monsieur. Sie führt kein Bordell, sondern ein Heim für Waisen und Findelkinder. Die Gelder der Kirche unterstützen ihre Mildtätigkeit. Sie vergalt es uns durch Sparsamkeit. Für jemanden, der nichts besitzt, kann diese Tugend nicht weit genug gehen.«
»Das heißt?«
Mehr und mehr wurde es zu einem Verhör. Juvenal beschränkte sich nicht auf Einschüchterung. Er wollte etwas anderes. Sie wusste bloß nicht, was es war.
»Das heißt, dass Essen und Feuerholz zu wertvollen Gütern wurden. Wir lernten früh, sie zu entbehren. Madame Balbeuf war eine Könnerin auf ihrem Gebiet. Sie machte ihre Sache so gut, dass in einem besonders kalten Winter ein Kind starb. Es ist im Schlaf erfroren.«
Der eisigen Höflichkeit des Adels hatte sie oft genug beigewohnt, um sie nachahmen zu können. Juvenals maskenhafte Züge scherten sie nicht mehr. Mochte es ihn erbittern, dass sein blaublütiger Sohn weiterhin vor ihr kniete und ihre Füße wärmte, es war nichts gegen die Verbitterung und Entbehrung ihrer ersten Jahre. Sie zog ihre Füße aus Cassians Händen und schlüpfte in ihre Schuhe. Er wies seinen Vater nicht in die Schranken und das wusste sie einzuordnen. Sollte er sich doch den schwarzen Füßen seiner Mätresse zuwenden. Sie wartete bestimmt schon auf ihn.
»Im Winter teilten wir unsere Betten. Der kleinen Mireille hat es nicht geholfen. Sie war zu jung und zu schwach und sie wurde nie richtig satt.« Florine strich in einer harschen Bewegung ihr offenes Haar zurück. Es war noch immer feucht. »Es hätte auch nichts geholfen, hätte ich sie in mein Bett genommen. Dann wäre sie eben in einer anderen Nacht gestorben.«
»Gebt Ihr Euch etwa die Schuld daran?«
Ruben sprach mit lockend tiefer Stimme. Sein Blick aus graugrünen Augen umfasste sie. Cassian erhob sich von den Knien und baute sich neben ihr auf. Auf seine Unterstützung konnte sie verzichten. Sie hatte nie einen anderen gebraucht.
»Lächerlich, nicht wahr? Wer bin ich schon? Die anderen Kinder behaupteten stets, in meinem Bett sei es am wärmsten. Sie nannten mich eine Flamme. Liegt an meinen Haaren, nehme ich an.«
Mit gerunzelter Stirn musterte Juvenal ihr Haar. Weiß Gott, sie hatte hier nichts verloren. Spätestens nach diesem Gespräch konnte sie es nicht länger leugnen.
»Hat denn niemand herauszufinden gesucht, wer Eure Eltern waren?«
»Wozu?«, schnappte Florine nach Juvenal. »Habt Dank für Eure Gastfreundschaft, Monsieur de Garou. Ich habe sie lange genug in Anspruch genommen.«
Drei Augenpaare bohrten sich in ihren Rücken, als sie hinausging. Jetzt wusste sie, wie sich ein Spießrutenlauf anfühlen musste. Sie wollte nach Hause. Dort musste sie nichts erklären. Dort wusste sogar Madame Chrysantheme, wie es war, ungewollt und ungeliebt zu sein. Dort gehörte sie hin. Cassian holte sie im Vestibül ein.
»Bertrand wird dich zurückbringen.«
Bertrand und nicht er selbst. Er würde sein Getändel mit seiner Mätresse fortsetzen, das sie unterbrochen hatte. Ein Geschäft, es war ein Geschäft gewesen. Regen pladderte auf die Glaskuppel weit über ihr, das Geräusch verstärkte ihre Traurigkeit.
»Macht Euch keine Umstände.«
Und fass mich nicht mehr an, setzte sie in Gedanken hinzu, als er einen Finger unter ihr Kinn schob und es anhob. Das trübe Zwielicht im Vestibül verbarg sein Mienenspiel.
»Ich komme zu dir.
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