Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
immer geschwollene Nase war genug an Konfrontation, mehr davon – gar ein Gespräch – war im Moment etwas zuviel für sie.
»Hab ich dir einen Vorwurf gemacht, Florine? Ich lebe schon lange genug hier, um zu wissen, dass dir keine Wahl blieb. Die Chrysantheme hat dich gezwungen. Du wolltest es nicht. Begeistert warst du nicht von der Versteigerung, und von dem Hundsfott von Freier kannst du es auch nicht gewesen sein.«
Verständnis wog gelegentlich schwerer als ein Vorwurf. Auf ihren Schultern wurde es zu einer Last, unter der sie kaum die Arme heben konnte. Lucas’ Versuch einer Aussprache war eine Marter, und seine Ahnungslosigkeit flößte ihr ein tiefes Schuldbewusstsein ein. Da sie weiterarbeitete und nichts sagte, fuhr Lucas fort.
»Wäre doch dumm dir was nachzutragen, an dem du keine Schuld hast. Es muss furchtbar für dich gewesen sein. Verhindern konnte ich es nicht, aber wir können drüber reden.«
Sie stieg von der Trittleiter, schob diese vor ein Bild und verdrehte die Augen. Sie wollte nicht reden. Sie wusste nicht einmal, worüber. Über Cassian de Garou oder etwa die Zukunftspläne, die sie und Lucas geschmiedet hatten? Ersteres kam nicht in Frage, die Nacht mit ihrem geheimnisvollen Chevalier gehörte ihr allein, sie wollte sie mit niemandem teilen, wollte ihren Zauber für sich bewahren. Und an eine Ehe mit Lucas war nicht einmal mehr zu denken. Sie könnte über das Durcheinander in ihrem Kopf reden, das eine einzige Nacht mit Cassian angerichtet hatte. In ihrem Hirn saßen etliche Knoten.
»Außer Paprika will mir kein rotes Gemüse in den Sinn kommen«, sagte sie und warf ein schwarzes Laken über das Bild.
»Also willst du nicht drüber reden. Er hat dich geschlagen und misshandelt, stimmt’s? Du hast geblutet. Er war so grob zu dir, dass Blut geflossen ist, stimmt’s?«
Lucas klang wie der Sopran einer italienischen Oper. Verdutzt drehte Florine sich auf der Trittleiter um und sah auf ihn hinab. Ein merkwürdiger Glanz war in seine Augen getreten. Er schien weniger besorgt, denn wissbegierig.
»Was redest du für einen Unsinn, Lucas?«
»Bei so einem großen Mann! Ich bin ja nicht blind. Wenn sein Schwengel ebenso groß war wie der ganze Kerl, dann … und du bist eng, Florine! Sehr eng! Du bist ein Nadelöhr!«
Im Moment war sie vor allem sprachlos. Cassian besaß keinen Schwengel. Der vulgäre Vergleich war niederträchtig und verfehlte sein Ziel. Leider fiel ihr nichts ein, was seiner Männlichkeit gerecht wurde. Wie immer sie es nannte: was er damit anstellte glich … Magie.
»Nun, der Schwengel hat ziemlich gut in das Nadelöhr gepasst«, gab sie absichtlich derb zurück.
Wenn sie gehofft hatte, Lucas damit mundtot zu machen, so sah sie sich getäuscht. Anstatt den Rückzug anzutreten, steigerte er sich noch mehr in seine absurden Vorstellungen hinein.
»Aristokraten treiben’s wie die Karnickel. Beischlaf ist doch alles, worauf sie aus sind, und so einer stößt eine Frau so hart, dass er ihr alle Knochen brechen kann. Soll ich die Blutergüsse nicht sehen, die er dir zugefügt hat? Ich hab schon Schlimmeres gesehen.«
Zuletzt die beiden Leichname, die einige Straßen weiter gefunden worden waren. Lucas hatte sich an der Schilderung ihres Anblicks ergötzt und so viel darüber geredet, dass Giselle sich schließlich übergeben musste. Nun war es also der Anblick von Blutergüssen nach dem er gierte. Flugs sprang Florine von der Trittleiter, versucht, Lucas einen Hieb auf seine geschwollene Nase zu versetzen und sie noch einmal zu brechen.
»Weißt du was ich glaube? Dir gefällt es über Blut und Schmerzen und zerfetzte Leiber zu reden und solche Gräueltaten aus der Nähe zu betrachten. Diese Neigung ist mir bislang an dir entgangen. Dabei ist sie ziemlich auffällig.«
»Das … das stimmt überhaupt nicht!«
Die roten Flecken in seinem Gesicht besagten etwas anderes.
»Du konntest nicht genug berichten über die armen Kerle, die letzthin umgebracht wurden. Und warum drückst du dich immer dann oben bei den Zimmern herum, wenn ein Freier nach der Gerte verlangt? Dir gefällt es zuzusehen, wie er sich den Hintern versohlen lässt.«
»Nie habe ich die Hand gegen dich erhoben, Florine. Ich bin nicht derjenige, der dir Gewalt angetan hat.«
»Weil Madame Chrysantheme dich im hohen Bogen aus dem Haus treten würde. Unser Verhältnis hat ihr nie zugesagt.«
»Was willst du damit sagen?«
Sie öffnete den Mund, um der Unterhaltung und ihrer Liaison mit Lucas
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