Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
wies Florine auf ihn. »Ihr habt keine Ahnung, Madame, was er ist. Er …«
»Unter meiner Obhut und meinem Schutz wird dir nichts zustoßen. Du gehörst nicht hierher, Kind.«
»Ich bin kein Kind, geschweige denn das Eure! Ihr könnt säuseln soviel ihr wollt, mir macht Ihr nichts vor.«
Verdutzt blinzelte der Fremde Florine an. Diese wandte sich an die Hausherrin.
»Verlangt es nicht von mir, Madame. Alles, aber nicht das. Ich werde selbst Geld eintreiben, so wie Ihr es immer von mir gewollt habt, aber zwingt mich nicht, mit ihm zu gehen.«
»Zu gar nichts werde ich dich zwingen, Florine.« Die Kopfschmerzen kehrten zurück, stärker und bohrender und mit ihnen ging eine Erschöpfung einher, die Madame Chrysantheme in sich zusammenfallen ließ. »Du triffst deine Wahl und ich die meine. Das Leben besteht nicht aus Träumen, du weißt es ebenso gut wie ich. Was ich in Jahren erreicht habe, kann ohne die nötigen Mittel nicht wieder errichtet werden. Ich werde versuchen, für diese Ruine einen Käufer zu finden.«
»Aber was werdet Ihr ohne das Haus …?«
»Das soll nicht deine Sorge sein.«
Stoßweise kam der Atem über Florines Lippen. Hinter ihrer Stirn setzte sich ein Räderwerk in Gang, und es kam zu den richtigen Schlüssen. Es war einer der schmerzlichsten Momente in Madame Chrysanthemes Laufbahn. Dieses Ringen eines Mädchens raubte ihr die letzte Kraft. Sie wünschte sich, dem ein Ende zu machen, ihr eigenes Ende eingeschlossen. Florine wandte sich an den Fremden, ihre Stimme von kalter Berechnung getragen.
»Dann soll es so sein. Madame und die Mädchen erhalten alles, was sie brauchen. Ihr garantiert mir, jeden ihrer Wünsche zu erfüllen, sonst komme ich nicht mit Euch.«
»Einverstanden.«
Der Fremde erhob sich. Seine dunkle Kleidung betonte seinen schlanken Wuchs, der untergründig gefährlich auf Madame Chrysantheme wirkte. Seine Bewegung machte aus einem Engel eine Raubkatze auf zwei Beinen. Sie mischte sich ein.
»Warte! Florine, du musst das nicht für mich tun. Auch nicht für die Mädchen. Du …«
»Ein Pakt mit dem Teufel lässt sich nicht rückgängig machen, Madame«, erwiderte Florine dumpf.
Ein Teufel in Engelsgestalt, dem sie in die Hände gespielt hatte. Worte des Abschieds entfielen. Florine und der Fremde gingen davon, und Madame Chrysantheme rutschte aus ihrem Stuhl auf die Knie. Sie legte die Finger aneinander, während aus ihrem Mund ein Gebet sprudelte, das sie seit Jahren nicht gesprochen hatte.
»Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.«
Die Läden waren von außen verriegelt, die Vorhänge zugezogen, damit dem kleinsten Strahl keine Chance blieb. Erst in der Folgenacht würde der Mond fett und prall am Firmament stehen, doch seine Wirkung hatte sich bereits entfaltete. Es war die erste von drei Nächten, in denen sein ausgesperrtes Licht durch sein Blut floss und die Harfenklänge des Silberlichts zu einem tosenden Crescendo anschwollen, das bis in die Nervenenden vibrierte. Eine Musik, die an ihm zerrte und riss, ihn dazu bewegen wollte, die Vorhänge aufzureißen, die Läden zu sprengen und im Mondlicht zu baden. Reglos umklammerte Juvenal die Stuhllehnen und ließ die Begierde über sich hinwegbrausen. Schweiß rann über seine Stirn und die Schläfen, während sein Atem langsam floss. Über zwei Jahrhunderte lebte er damit. Er würde standhalten. Er dachte an Alba, seine schöne, wilde Tochter, dem Kind, das der Bestie nachgegeben hatte und verloren gegangen war in einem Rausch aus Blut und Morden. Er hätte sie töten müssen. Letztendlich hatte er dieses Gebot missachtet und es nicht übers Herz gebracht. Wo immer Alba war, es hatte aufgehört und ihre Sippe hielt sie für tot. Vielleicht war sie es wirklich. An ihr hatte Juvenal zweimal versagt und in den Vollmondnächten verfluchte er sich und seinGeschlecht. Er war sich des Fluchs bewusst, den er auf seine Nachkommen übertrug. Es begann mit ihrer Geburt und endete mit ihrem Tod, setzte sich von Generation zu Generation fort. Kein Vater wünschte eine solche Last für seine Kinder, und doch hatte er sie gezeugt. Und nun wusste er nicht, wo Gilian war. Könnte ihn dasselbe Schicksal getroffen haben wie Alba? Gilians Fernbleiben konfrontierte Juvenal mit Schreckensvisionen. Gleiches galt für Cassian, der seiner Schwester Alba so ähnlich war. Dieselbe Unbelehrbarkeit, dieselbe Versessenheit auf einen Kampf, dieselbe Bereitschaft, sein Leben
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