Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
wegzuwerfen. Unterschiedslos stürzte er sich in das Leben, seine Liebschaften und den Tod. Das war nichts, was einen Krieger auszeichnete. Ein toter Werwolf half niemandem. Einzig Ruben, bar jeder Verantwortung, der geborene Streuner, schien zu Überlegungen fähig zu sein und nicht darauf aus, seinem Dasein durch zu großen Wagemut ein schnelles Ende zu bereiten.
Ein roher Aufschrei aus den Tiefen des Hauses durchtrennte Juvenals Gedanken, und die Stuhllehne brach zwischen seinen Fingern wie ein morscher Zweig.
Gekrümmt kauerte Cassian am Boden, die Stirn gegen den Stein gepresst. Schweiß verklebte sein Haar und floss in Rinnsalen über seine Haut. Gegen die Kontraktionen seiner Muskulatur kam er nicht an. Die Krämpfe waren schlimmer denn je, da zwei Werwölfe in seinem Revier waren und die Bestie durch ihre Gegenwart herausforderten. Obwohl das Kellerloch, in das er sich verkrochen hatte, keine Fenster besaß, und er in völliger Finsternis lag, füllte der Vollmond seine Augen mit Silber. Cassians Beine zuckten in dem Verlangen, zu rennen. Er wollte hinaus, unter den Mond, sich seinem Licht aussetzen und in seinen Strahlen jagen und töten. Glücklicherweise war ihm das unmöglich gemacht worden. Die verstärkte Tür hielt jedem Fausthieb stand. So suchte er nach einem Anker, nach etwas, worauf er seine Sinne richten konnte. Rotblondes Haar, bittersüßes Gras, weiche Glieder, die ihn umschlangen und ihn hinab zogen in die Hitze eines Schoßes. Er sehnte sich nach Florine. Ein weiterer Aufschrei wollte seinen Brustkorb sprengen. Sie würde das Bündel aus schweißverklebter Haut und zitterndem Fleisch ebenso ablehnen, wie sie den Wolf abgelehnt hatte. Und vor der Bestie, die an seinem Inneren zerrte und sich befreien wollte, würde sie einzig Grauen empfinden. Zu Recht. Cassian rollte über den Steinboden, sein gekrümmter Leib schnellte auseinander, die Sehnen überdehnten. Einzig Fersen und Kopf berührten noch den Boden, während er sich zu einem Bogen aus glühendem Schmerz aufbäumte. Die Adern an seinem Hals drückten sich hervor, die Muskeln unter seiner Haut sprangen und zuckten. Jäh löste sich die Spannung und sein Körper rollte sich zusammen. Wenige Minuten blieben ihm zum Atemschöpfen, ehe der nächste Krampf begann.
Die Menge an Opium hätte einen Normalsterblichen bereits ins Jenseits geschickt. Bei Ruben linderte sie die Krämpfe auf ein erträgliches Maß. Die Droge war ein Spiel mit offenem Ende, doch ihm war es lieber, einen Herzstillstand zu riskieren, als dass er wurde wie Alba. Den möglichen Tod nahm er in Kauf. Er hasste die Bestie in sich. Seine Sippe wusste nichts von der hohen Menge an Opium, konnte nichts ahnen, da Werwölfe nicht zum Genuss schwerer Drogen neigten. Ruben griff nach dem Becher und trank. Seine Sinne wurden taub, die Bestie in ihm war gelähmt. Der Zustand der Schwerelosigkeit in einer Seifenblase währte etwas über eine Stunde. Die Augen halb geschlossen lag Ruben auf einem Lager aus Decken und fragte sich, ob die Dosis diesmal zu hoch gewesen war und sein Herzschlag versiegen würde. Es machte ihm keine Angst zu sterben. Ohnehin würde er Paris wohl nicht lebend verlassen, eingedenk der Namenlosen, denen sie sich stellen würden. Cassian hatte Recht, sie hätten nicht länger warten sollen. Sie zögerten dadurch ihren eigenen Tod hinaus, einen Zustand, der kein Opium brauchte, um die Bestie endgültig auszulöschen – dieses verhasste Monster, das ihm seine Schwester genommen hatte. Die Erinnerung an Alba war schlimmer als die Melodie des Mondlichts, die durch seine Adern rauschte. Ohne die Droge wäre er dem Locken des Vollmondes schon vor Jahren erlegen. Es lag in seiner Natur, jedem Reiz nachzugeben und seinem Verlangen zu folgen. Seine Ruhe war eine Fassade, hinter der er seine Maßlosigkeit verbarg, sein Bedürfnis nach einem Vagabundendasein abseits eines Rudels und jeglicher Verantwortung. Die Bestie wartete nur darauf, ihm das zu rauben, was ihm lieb und kostbar war. So gab es nur einen Wunsch, der Ruben am Herzen lag: Eines Tages würde er die Bestie töten.
Er streckte die Hand nach dem Glas aus und füllte seinen Mund mit einem großen Schluck des opiumversetzten Alkohols. Wenn er noch mehr trank, könnte es ihm gar heute Nacht gelingen.
Für alles im Leben musste man bezahlen, und anders als auf dem Markt konnte Florine nicht um den Preis schachern, geschweige denn ein gutes Geschäft machen. Also war sie bereit, ihre Schuld zu
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