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Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes

Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes

Titel: Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Wegner
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Jugend zurückgreifen.
    Was sollte sie bloß anfangen mit ihrem ruinierten Leben? In ihrem Alter waren die Möglichkeiten begrenzt. Der Gedanke, dorthin zurückzukehren, wo sie hergekommen war, ihren Körper auf dem Pflaster von Paris darbieten zu müssen, versetzte sie in Todesangst. Das würde sie nicht durchstehen, und zudem würde niemand etwas bieten für ein altes Weib, dem die Brüste bis zum Nabel baumelten. Sie barg das Gesicht in ihren hohlen Händen und versuchte, sich mit einem anderen Gedanken vertraut zu machen, dachte an ein schnelles, schmerzloses Ende und fragte sich, ob sie genügend Geld für ein Gift zusammenkratzen konnte, das es herbeiführte.
    Als sie den Kopf wieder hob, über unterschiedliche Todesarten sinnierend, saß ein Mann vor ihr auf dem Stuhl. Niemand hatte ihn angemeldet und sie hatte ihn auch nicht eintreten hören. Vielleicht war er ein Trugbild. Er besaß alle Eigenschaften einer Erscheinung. Sein Haar wallte gleich einer goldenen Mähne über seine Schultern und legte einen Heiligenschein um das perfekte Oval seines Gesichts. Ihm fehlten lediglich die Flügel, um den Eindruck eines Todesengels perfekt zu machen.
    »Das sieht übel aus«, stellte die Erscheinung fest.
    »Es ist eine Tragödie«, vertraute sie sich dem flügellosen Engel an. »Ich sehe keinen Ausweg. Der Strang soll grausam sein, sofern das Genick nicht bricht. Ins Wasser kann ich nicht, ich habe als Kind schwimmen gelernt. Bleibt das Messer. Davon gibt es genug im Haus.«
    Das verständnisvolle Lächeln kam ihr nicht sonderbar vor. Engel brachten selbst für sündige Gedanken – und der Freitod gehörte dazu – Verständnis auf. Irgendwie war die Erscheinung ein Trost, auch wenn sie nicht vorhanden war und sie nur ein Selbstgespräch führte. Obwohl sie vergessen hatte die Lichter anzuzünden, schimmerte sein Gesicht in der Dunkelheit. Eine Perle, in der zwei Türkise saßen und sie anfunkelten. Der Todesengel war makellos schön.
    »Ich bin weder hier, um dich in den Tod zu geleiten noch entspringe ich deiner Einbildung. Es gibt keinen Grund für dich zu sterben, Mathilde Lebecq.«
    Woher kannte er ihren Namen? Sie hatte ihn vor über dreißig Jahren abgelegt. Sie versuchte, dem dumpfen Kopfschmerz hinter ihrer Stirn mit festem Reiben beizukommen.
    »Wer seid Ihr?«
    »Ich bin hier wegen eines Eurer Mädchen. Sie heißt Florine.«
    Erstaunlich, wer sich in letzter Zeit alles für Florine interessierte. Zuerst der schneidige Chevalier, der sie ersteigert hatte, dann Saint-Germain und nun dieser Gentilhomme mit dem fremdartig schönen Antlitz. Tja, er war umsonst gekommen. Florine setzte alles daran, die Schäden zu beseitigen, hielt die Mädchen zusammen, hantierte seit Stunden unermüdlich mit Schrubbern und Lappen. Sie hatte mit dem Priester und den Totengräbern die Begräbnisse besprochen und stand jetzt in der Küche und brutzelte Eierpfannkuchen. Der Duft zog bis zu ihnen.
    »Florine steht nicht zur Verfügung, Monsieur. Ihre Aufgaben …«, Madame Chrysantheme unterbrach sich und hauchte, verblüfft über die eigene Feststellung: »Sie ist die Seele dieses Hauses.«
    »Sie gehört nicht zu den Kurtisanen?«
    Das Strahlen des Fremden nahm zu. Die Neuigkeit schien ihn zu erfreuen. Jäh flammten zwei Wachskerzen auf dem Tisch auf. Madame Chrysantheme war über den Punkt hinaus, sich über diese spontane Entzündung zu wundern. Stattdessen sprudelten die Worte aus ihr hervor.
    »Sie sollte eine werden, als sie vor neun Jahren zu mir kam. Die Balbeuf schleifte sie eines Tages an. Es hatte geregnet und Florine sah aus wie ein nasser Dachs. Sie musste den ganzen Weg hinter dem Wagen der Balbeuf herlaufen. Sie war klein und mager, eine Göre aus Knochen, Augen und nassen Haaren. Und sie weinte. Vermutlich waren es ihre Tränen …«
    Sie klappte den Mund zu. Redseligkeit gehörte nicht zu ihren Schwächen, insbesondere nicht, wenn es um die Mädchen ging. Mit einem Stirnrunzeln erlag sie dem Drang, sich dem Fremden mitzuteilen.
    »Ich nahm sie bei mir auf, obwohl sie mit neun Lenzen viel zu jung war. In meinem Haus werden keine Kinder angeboten, Monsieur. Also half Florine in der Küche aus, säuberte die Zimmer und erledigte Botengänge.«
    »Sie ist ein Kammermädchen?«
    Grün und Blau und Funken von Gold flackerten in den leicht schräg stehenden Augen auf. Madame Chrysantheme schüttelte den Kopf.
    »Sie ist schon lange kein Kammermädchen mehr, Monsieur. Hier verkehrten Herzöge und Prinzen, und sie alle

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