Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
sich nicht damit begnügen, Jagd auf die Namenlosen zu machen, sondern auch wieder auf uns und die Vampire.«
Ruben senkte den Kopf und stieß die Schwertscheide leicht mit der Fußspitze an. »Lange Rede kurzer Sinn: du wirst dich nicht umstimmen lassen.«
»So ist es.«
»Es ist Todessehnsucht«, sagte Ruben leise. »Das ist dein Antrieb.«
»Mein Antrieb ist der Wille, die Namenlosen auszumerzen.«
Daran glaubte Ruben nicht. Er kannte seinen Bruder und seine eigene Sehnsucht nach dem Tod gut genug, um sie auch an anderen wahrzunehmen. Ihre Ähnlichkeit beschränkte sich nicht auf Äußerlichkeiten, auf den hohen Wuchs von Juvenals Sippe oder die Kraft ihrer Körper. Ihr Verlangen, den Tod herauszufordern, war in ihnen allen mehr oder weniger ausgeprägt. Sein Lächeln geriet kläglich.
»Juvenal ist davon überzeugt, dass ein Werwolf mit der richtigen Gefährtin diese Sehnsucht loswird. Einige soll es gar gegeben haben, die die Bestie zähmen konnten.«
»Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe.« Cassian lachte auf.
»Tja, auf seine alten Tage wird unser Vater sentimental. Demnächst wird er uns noch etwas über schmerzende Knochen vorjammern.«
»Und das Einzige, was er sich zur Linderung ins Bett holt, wird eine Kohlenpfanne sein. Hoffentlich ist er bald wieder in seinen andalusischen Bergen.«
»Ja, Mann, so ein Elend kann uns niemand zumuten.«
Der Ernst ihrer Unterhaltung löste sich in Knüffen, die sie sich versetzten. Als Juvenal kurz darauf eintrat, jagten zwei übermütige Wölfe um das Mobiliar und übten sich im spielerischen Kampf. Ehe Juvenal den Rückzug antreten konnte, schossen sie quer durch den großen Saal auf ihn zu, ihre Geschwindigkeit machte aus ihnen lange Stromlinien. Sein gebrüllter Befehl, sie sollten diesen Unsinn lassen, führte dazu, dass sie ihn zu Boden warfen. Juvenals Söhne waren Krieger und Kämpfer und gleichwohl weit entfernt von der Distinguiertheit ihres Sippenoberhauptes.
Mica platzte schier vor Stolz. Das letzte Mal hatte er sich so gefühlt, als Marie ihm mitgeteilt hatte, dass sie sein Kind erwartete. Das Kind einer Sterblichen, doch einerlei, denn Nachkommen unter Vampiren waren eine Seltenheit, ob sie nun von einer Sterblichen geboren wurden oder von einer Lamia. Ganze Volksstämme hatte er unterworfen, er gehörte einem Volk an, dessen Macht einst grenzenlos gewesen war, aber er verspürte keine Scham, die Brust vorzuwölben und den Eindruck eines gemästeten Ganters zu machen, denn sein Menschenkind saß neben ihm.
Unten im Parkett verrenkte sich das Publikum den Hals, um einen Blick in seine Loge zu werfen, Florines wegen. Aus ihrem Haar, an dessen Glätte jede Brennschere scheiterte, hatte eine Künstlerin ihres Fachs ein labyrinthartiges Flechtwerk aus rotemGold gemacht. Das Purpur ihrer Robe war die Farbe der Könige, und Florine trug sie zu Recht, denn Mica war ein Fürst und sie seine Prinzessin. Er war hingerissen, durch sie war der Sinn in sein Dasein zurückgekehrt.
Sein Blick schweifte umher, er suchte und fand die Vampire unter den Menschen. Ihre Augen funkelten aus den Schatten ihrer Logen, ohne die Darbietung auf der Bühne zu beachten. Zu selten zeigte sich ihr Großmeister unter ihnen, und nun sah er jeden Einzelnen von ihnen an. Durch die Logen spannen sich Fäden aus wortlosen Anweisungen. Die Vampire richteten ihre Blicke auf Florine, prägten sich ihre Züge ein, merkten sich jegliches Detail. Wo immer sie ihre Schritte hinlenkte, selbst im verbrecherischsten Viertel von Paris würde sie von diesem Abend an begleitet sein. Von sterblichen Getreuen der Vampire am Tage, von ihnen selbst bei Nacht. An diesem Abend kehrte Mica zu seinem Volk zurück, nahm sein Revier wieder in Anspruch und wusste, dass in den stummen Treueschwüren der Pariser Vampire ein Gutteil Erleichterung mitschwang.
Florine senkte das Opernglas. »Alle starren dich an.«
»Sie sehen dich an, nicht mich, Kind.«
Wann immer er sie so nannte, verkniffen sich ihre Lippen. Sie sah ihn abschätzend an. »Es ist für eine Dame kein Kompliment, wenn ihr Begleiter alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Menschen ahnen, was du bist. Ich werde mich kein zweites Mal mit dir in der Öffentlichkeit zeigen.«
Über die Garstigkeiten seiner Tochter amüsierte er sich köstlich. Ihr Temperament hatte sie am Nachmittag dazu verleitet, eine Vase nach ihm zu werfen. Mühelos hatte er sie aufgefangen und das seltene Stück vor dem Bruch gerettet. Noch nie
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