Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
die Köpfe der Flanierenden hinwegschmetternd. Verdammter Werwolf, dachte Mica und sah ein dunkles Hemd, das sich eilig von Florine fortbewegte. Nun, Cassian war klug genug, ihr auszuweichen. Sie konnte ihn nicht einholen. Daran glaubte Mica so lange, bis aus Florines Robenschleppe ein purpurnes Züngeln wurde. Sie war so schnell geworden, dass die Schleppe vom Pflaster abhob und kurz darauf um eine Ecke verschwand. Einen Fluch auf den Lippen setzte er ihr nach, hinein in eine schmale Gasse. Florine hatte sie bereits zur Hälfte durchquert. Nur Vampire und Lamia konnten noch schneller werden, wenn der Hunger sie beherrschte und sie aus großer Distanz eine besonders schmackhafteQuelle witterten. Seine Tochter brauchte kein Blut und konnte sich bei Tageslicht frei bewegen, also konnte sie auch keine Lamia sein. Er holte auf, doch einholen konnte er sie nicht. Sie preschte soeben um die nächste Ecke.
Als er diese erreichte, hatte der Werwolf sich anders besonnen und lief Florine entgegen. In einer Sturmwehe überholte Mica seine Tochter und prallte mit voller Wucht gegen Cassian. Ein Aufschrei hallte über sie hinweg, als sie ineinander verkeilt durch den Dreck rollten, sich lösten und auf die Füße sprangen. Cassian gehörte nicht umsonst einem Geschlecht an, das nahezu so alt war wie die Vampire. Er fing Micas Faustschlag ab, sein Griff um das Handgelenk des Vampirs war eisern. Das Haar zerzaust, Wangen und Kinn bedeckt von einem dunklen Bart war Cassian einem Barbaren ähnlich. Weiß und spitz blitzten seine Fänge auf. Die Drohung weckte in Mica die blanke Lust am Blutvergießen. Seine eigenen Fänge pochten, als er sie dem Werwolf zeigte. Sie stemmten sich gegeneinander, hielten sich gegenseitig auf Abstand, keiner bereit zu weichen.
»Sie gehört mir, Werwolf. Dein Instinkt weiß es bereits. Sie ist mein Geschöpf und für dich unerreichbar geworden.«
Florine hatte sie erreicht und zerrte an Micas Oberarm. »Lass ihn sofort los!«
»Er ist derjenige, der nicht loslassen kann.«
»Loslassen!«, fauchte sie und hämmerte auf Micas Schulter ein.
Es waren die Schläge eines Flohs, aber auch Flöhe konnten lästig werden. Durch einen Ruck seiner Schulter schüttelte er seine Tochter ab.
»Erkennst du nicht, was sie ist, Werwolf? Muss ich es erst aussprechen?«
Cassians Blick schnellte von Mica zu Florine und wieder zurück. Gleichzeitig stießen Werwolf und Vampir sich voneinander ab, und Florine, die erneut einschreiten wollte, stand allein an der Stelle, wo die beiden Gegner soeben noch gestanden hatten. Lange Haarsträhnen fielen über ihren Rücken, wogten an ihren Schläfen.
»Cassian, geht es dir gut?«
Der Werwolf gab keine Antwort. Er war außer sich und versuchte, es zu verbergen. Mica spürte es, witterte Cassians Anspannung, erkannte sie an der Haltung seines schlanken Körpers und spannte selbst jeden verfügbaren Muskel an.
»Ich … es tut mir so leid, Cassian.«
»Was hast du getan, Mica?«, fragte Cassian über Florines Kopf hinweg.
Er missverstand ihre Entschuldigung, und Mica schürte seine falschen Schlüsse. »Du hast gehört, was ich gesagt habe. Florine ist für dich verloren. Und auch Paris wird es bald sein. Verschwinde, Werwolf. Verschwinde aus meinem Revier.«
Florine drehte sich zu Mica um. »Du kannst nicht über mich bestimmen! Ich allein entscheide über mein Leben. Ich allein und niemand sonst! Wenn du das nicht akzeptieren kannst, musst du mich totbeißen mit deinen widerlichen Fängen!«
»Du kannst die Tatsachen nicht ändern, Kind.«
Kein Menschenkind, sondern eine Furie stürzte auf Mica zu. »Was meinst du damit? Was willst du damit sagen?«
Er wich den Hieben ihrer gekrümmten Finger aus. Seine Tochter hatte wenig von der Mutter und viel von ihm und ihrer Großmutter Selene. In einer Sterblichen steckte die Angriffslust einer Lamia. So groß sie bei Florine im Moment war, es fehlten ihr die Möglichkeiten, Mica einen Schlag zu versetzen. Aber ihr Verhalten hatte Cassian den letzten Zweifel genommen.
»Er hat sich von dir losgesagt. Er ist nicht für dich eingetreten, sondern gegangen.«
Ihre Arme sanken schwer herab. Sie drehte sich nach allen Seiten, auf der Suche nach dem Werwolf. Aber er war schon nicht mehr in der Nähe und würde größtmögliche Distanz wahren, überzeugt davon, dass aus Florine eine Lamia geworden war. Was die bisherige Teilung ihres Reviers betraf, so konnte Mica sich später darum kümmern. Zunächst galt es, sein Kind zu beruhigen,
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