Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
in dem die Schwächen der Sterblichen auf das Temperament einer Ewigen trafen. Es war ein Berg aus Problemen, den Mica auf sich zurollen sah.
»In dir ist so viel von deiner Großmutter, Kind. Du bist …«
»Dein verflixten Erklärungen kannst du dir bis zum Anschlag hinten rein schieben!«
»Die Ausdrücke einer Hure will ich aus deinem Mund nicht hören!«
»Lieber bin ich Cassians Hure als dir zu Willen! Ich wollte ihm sagen, dass ich meine Worte bereue, aber selbst das hast du nicht zugelassen! Ich liebe ihn! Ja, so ist es! Aber Liebe geht über den Horizont eines verfluchten Mistbocks von einem Blutsauger!«
Sie war grandios in ihrer Wut und machte Mica mundtot. Mit Effet schleuderte sie ihre Schleppe herum, kehrte ihm den Rücken zu und ging davon. Ungeachtet ihrer durchweg menschlichen Schwächen, bot sie ihm die Stirn. Marie, wenn du das bloß sehen könntest, schickte er einen Gedanken zu den Sternen hinauf und folgte seiner Tochter in respektvollem Abstand.
An jedem Arm eine Dame betrat Saint-Germain das Haus. Ihre gezierten Stimmen waren bis in das zweite Stockwerk zu hören, an dessen Brüstung Florine stand. Die Damen bewunderten sich in den venezianischen Spiegeln und waren zu beschäftigt, um einen Blick nach oben zu werfen, von wo aus Florine lediglich die Brillantspangen in ihren aufgetürmten und gepuderten Locken erkennen konnte. Saint-Germain war häufig am Königshof, und nun hatte er Besuch von dort mitgebracht. Auf den Empfang zweier Hofdamen war sie nicht vorbereitet. Nervös strich sie über die Rockfalten ihres Hauskleides. Da sie ihr Haar nicht frisiert hatte, musste sie wenigstens eine Haube aufsetzen. Weshalb hatte Saint-Germain sie nicht über den Besuch informiert?
Auf die Antwort musste sie nicht lange warten. Anstatt die Gäste in den für Besuche vorgesehenen Salon zu führen, geleitete Saint-Germain sie in den hinteren Teil des Hauses. Am Ende des Ganges zweigten Küche, Vorratskammern, Waschstube und zur anderen Seite der Eingang zu Micas Reich ab. Da die Stimmen leiser wurden, lief Florine ein Stockwerk tiefer und lehnte sich weit über die Brüstung. Eine dumpf ins Schloss fallende Tür schnitt das Geplauder vollends ab. Wenig später kehrte Saint-Germain zurück, durchquerte tänzelnd und vor sich hinsummend das Vestibül und verließ das Haus.
Mica empfing also Damen in seinen ganz privaten Räumlichkeiten unter dem Haus. Einladungen in sein Allerheiligstes blieben offenbar den Grazien am Hof Louis XV. vorbehalten und wozu sie dienten, war an einer Hand abzuzählen. Das war wirklich allerhand. Saint-Germain brachte dem Vampir so genannte Quellen ins Haus, und Menschen verloren ihr Blut, während sie nur wenige Meter über ihnen saß und – wenn der Zufall sie nicht an die Treppe geführt hätte – nichts davon mitbekommen hätte. Florine sah sich als Gefangene, auch wenn sie den Käfig, in dem sie saß, neu eingerichtet hatte und Mica das Gegenteil behauptete. Er nanntesie die Herrin seines Hauses und beharrte auf der lächerlichen Behauptung, sie sei seine Tochter. Nun, sie würde ihn beim Wort nehmen und auf keinen Fall zulassen, dass er sich in ihrer unmittelbarer Nähe an einem Menü aus zwei Frauen labte.
Nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatte, lief sie die Treppe hinab und marschierte auf den Eingang zu den unterirdischen Räumen zu. Ihre festen Schritte bestärkten sie in ihrem Vorhaben. Einen Moment kämpfte sie mit der schweren Tür, die ihrem Zug widerstand. Sie besaß die Größe und das Gewicht eines Portals, und es brauchte die Kraft beider Arme, um sie einen Spaltbreit zu öffnen. Als sie hindurch geschlüpft war, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen das schwere Holz, damit es lautlos zurück ins Schloss fiel.
Hohe Steinstufen führten nach unten. Nach jeder sechsten Stufe folgte ein breiter Absatz, auf dem links und rechts Kandelaber standen. Pures Gold, in dem je ein Dutzend Wachskerzen brannte. Die Phalanx der Kandelaber setzte sich im Gang fort. Die Wände waren blank und aus hellem Sandstein. So dick, dass es angenehm kühl war, ein Labsal nach der Hitze in den oberen Geschossen. Die Stille einer Gruft herrschte hier unten. Es gab keinen Anhaltspunkt, dass Mica und die beiden Damen überhaupt in der Nähe waren. Keine Gespräche, kein Lachen drang aus den offenen Rundbögen, von denen es vier gab. Florine trat durch den ersten Bogen und stand in einem Studierzimmer. Groß und quadratisch besaß es natürlich keine Fenster. Die Wände
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