Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
prallen Sonne brodelte und sich über der Stadt zu einer Glocke ballte. Sie stürzte hinein in das Gewühl aus Menschen, Karren und Sänften, wählte eine Abkürzung quer durch die Stadt, schnurstracks auf ihr Ziel zu. Sie wusste wohin sie wollte, sie wusste sehr genau, was sie wollte, und würde sich von Mica nicht daran hindern lassen, ihren Willen durchzusetzen.
8
D
as Hemd fiel auf Cassians Oberschenkel und bedeckte einen Teil des tiefen Risses, der in seinem Bein klaffte. Die Wunde brannte, als sei flüssiges Metall hineingegossen worden. Der Namenlose hatte den Hieb seiner Pranke mit seinem Kopf bezahlt, ehe seine Krallen tiefer dringen konnten. Der Schwertkampf hatte Cassian alles abverlangt, höllisch nach verbranntem Fleisch gestunken und erfüllte ihn trotz seiner Verletzung mit Euphorie. Juvenals Tobsuchtsanfall, der aus dem anderen Ende des Hauses zu hören war, scherte ihn nicht. Den Kopf in den Nacken gelegt saß er in einem Stuhl und ließ sich von Bertrand rasieren. Ruben war Zeuge des Kampfes geworden und tigerte unruhig durch das Schlafzimmer.
»Verdammt, ich will auch so ein Schwert.«
»Mit Silberlegierung?«
»Und ob! Mit so einer Waffe sind wir auf den Vollmond nicht angewiesen. Wie geht’s deinem Bein?« Ruben warf einen prüfenden Blick auf die Wunde, die sich über Cassians Oberschenkel bis zum Knie zog. »Ach, ist nur ein Kratzer. Schließt sich schon wieder. Warum ist das keinem von uns früher eingefallen? Die Vampire haben es schließlich vorgemacht.«
»Tja, wie du selbst festgestellt hast ist Silber nicht unbedingt …«
Sarah trat ein und zog eine Grimasse. »Krankenbesuch für dich, Cassian.«
Jemand rempelte Sarah an und drängte sie beiseite, ungeduldig darauf aus, sich Zugang zu verschaffen. Durch Cassian ging ein Ruck. Bertrand blieb gerade noch die Zeit, seinem Herrn den restlichen Rasierschaum von Kinn und Wangen zu wischen, ehe Cassian aufsprang und Distanz schaffte. Florine stand in seinem Zimmer. Nicht die Grand Dame, die ihm vor wenigen Nächten nachgerannt war in einer Purpurrobe und mit Juwelen im Haar, sondern ein vom Lauf erhitztes Mädchen. Falsch, korrigierte er sich. Nach allem, was Mica angedeutet hatte, war Florine kein Mädchen mehr, sondern eine Lamia. Wobei ungewiss blieb, ob Mica überhaupt eine solche Wandlung herbeiführen konnte. Soweit er wusste, wurden Vampire und Lamia geboren und nicht durch einen Biss geschaffen. Trotzdem blieb er vorsichtig. Was eine Lamia zu einem Werwolf führte, endete für einen von beiden tödlich. Äußerlich hatte sie sich nicht verändert, und der Gedanke gegen sie zu kämpfen und ihr Schaden zufügen zu müssen, um sich der eigenen Haut zu erwehren, drehte ihm den Magen um.
»Cassian, ich … Oh Gott! Was ist mit deinem Bein geschehen?«
Sie kam auf ihn zu. Cassian wechselte mit Ruben einen Blick, den dieser nicht verstand. Über die stumme Warnung runzelte Ruben die Stirn, und als er sie schließlich zuordnen konnte, rollte er mit den Augen und wies mit dem Kinn zum Fenster. Es ist taghell, besagte sein stummer Wink, wie sollte eine Lamia bei diesem grellen Sonnenlicht zu dir gelangen? Eine gute Frage, auf die es keine Antwort gab, es sei denn, Mica hatte gelogen. Ruben ging und scheuchte Bertrand und Sarah vor sich aus dem Zimmer. Im Hemd und mit nackten Beinen ließen sie Cassian zurück.
»Was machst du hier, Florine?«
»Bei allen Heiligen, du blutest!«
Die Wunde war durch seine abrupte Bewegung aufgegangen und Blut rann über sein Knie und das Schienbein. Argwöhnisch beobachtete er Florine, die sich auf den kleinen Strom aus Blut konzentrierte. Ihre plötzliche Blässe schien die Anzahl ihrer Sommersprossen zu verdoppeln. Keinem Sterblichen war es gegeben, sich einem Vampir zu entziehen, erst recht nicht einem Großmeister, der zu den ältesten seines Volkes gehörte. Trotzdem war ihr die Flucht gelungen, wozu sie zuerst einmal den Entschluss hatte fassen müssen. Sie kam auf ihn zu, ein Tüchlein in der Hand, das viel zu klein war, um das Blut aufzufangen. Cassian wollte ihr zunächst ausweichen, entschied sich jedoch anders. Vorsichtig tupfte sie an seinem Bein herum, machte keine Anstalten, sein Blut zu kosten oder sich gar an der Wunde festzusaugen. Sie war lediglich furchtbar aufgeregt, da sie den Blutstrom nicht eindämmen konnte.
»Das ist furchtbar, einfach furchtbar.«
»Es heilt schneller, wenn niemand daran herumtupft«, sagte er. »Was willst du hier, Florine?«
Sie richtete sich
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