Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
aus ihrer gebückten Haltung auf und sah ihn, erschrocken über seinen bärbeißigen Ton, an. »Ich wollte dich sehen.«
»Und dein Meister hat es dir erlaubt?«
»Er ist nicht mein Meister. Ich entscheide selbst, wen ich sehen will, und ihm will ich ganz sicher nie wieder begegnen. Er ist verwerflich. Er ist verkommen und niederträchtig und hat heute …«
»So verkommen wie ein Werwolf kann er nicht sein«, bemerkte Cassian und humpelte zu seinem Bett, auf dessen Kante er sank.
Es war zu viel. Nachdem es ihm beinahe gelungen war, sich von ihren Schmähungen zu erholen und sich mit ihrem Verlust abzufinden, tauchte sie bei ihm auf. Um ihn zu sehen. Als würde das etwas nützen. Sie setzte sich neben ihn.
»Mir ist es gleich, ob du ein Werwolf bist. Wirklich, das ist es. Angst hat mich … Ich meine, du hast da gestanden und dann plötzlich fliegen deine Kleider in Fetzen und ich sehe einen Wolf!« Wild warf Florine die Hände in die Luft, während ihre Stimme immer heller wurde und es aus ihr heraussprudelte. »Kannst du dir das vorstellen? Ich konnte es nicht. Ich habe es nicht verstanden und falsch reagiert. Gewiss, das habe ich und dafür entschuldige ich mich. Und Mica, ich meine, der Vampir … Du hast keine Ahnung, wie er mit seinen Quellen umgeht. Ich habe es gesehen. Es war schauderhaft.«
»Ebenso schauderhaft wie der Gedanke, bei einem Tier zu liegen?«
So wie sie blinzelte, leicht verwirrt und betreten, schien sie einen anderen Empfang erwartet zu haben. Sie war reizend, trotz ihres ungekämmten Haares, schier zum Fressen süß und so hoffnungsvoll. Andererseits würde Mica sich davon nicht beeindrucken lassen, und Cassian wollte es auch nicht.
»Du hast eine Entscheidung getroffen, die nicht allein bei dir liegt, Florine.«
Sie senkte den Kopf. »Ich weiß, aber ich hatte gehofft … Es bedeutet wohl sehr wenig, was zwischen uns …? Trotzdem dachte ich, es könnte anders sein … irgendwie«, stammelte sie.
Es war nicht nur irgendwie, sondern definitiv anders. Da Cassian nichts darauf erwiderte, unschlüssig wie er reagieren sollte, sah sie auf. Enttäuschung stand in ihrer Miene. Ihre Unterlippe bebte unmerklich, und doch dachte sie nicht an einen eleganten Rückzug. Sie berührte sein Hemd an der Stelle, wo sich die dünnen Narben über seine Rippen zogen.
»Ich weiß jetzt, woher diese Narben stammen. Ein Namenloser hat sie dir zugefügt.«
»Wer hat dir gesagt, wie wir sie nennen?«
Sie sah beiseite. »Der Vampir hat es mir gesagt. Eines dieser Höllengeschöpfe gelangte auf sein Grundstück. Er hat es getötet.«
Sie vermied es, Mica beim Namen zu nennen und wich auch Cassians Blick aus. Stattdessen betrachtete sie sein Bein, sein Fleisch hatte erneut mit der Heilung begonnen.
»Schmerzt es sehr?«
Es schmerzte unglaublich, aber sie sprach natürlich nicht von ihrer Gegenwart an seiner Seite und seinem Bedürfnis, sie zu berühren, sondern von der Wunde.
»Es juckt etwas.«
Florine nickte, beobachtete eine Weile den Heilungsprozess und sah Cassian schließlich von unten herauf an. »Ich bin davongelaufen und werde nicht zurückkehren. Es tut mir so leid, wenn ich dich verletzt habe. Darf ich … darf ich trotzdem hier bleiben, Cassian?«
Diese Frage hatte er gewünscht und befürchtet. Mica würde ihren Mangel an Treue nicht hinnehmen, geschweige denn zulassen, dass seine Quelle sich auf die Seite seines Feindes schlug. Wie war es ihr gelungen, den Bann des Vampirs abzustreifen? Er musste es wissen.
»Hat er dein Blut genommen?«
»Nein! Soweit kam es nicht. Er hat mich nicht angerührt. Bitte, sei mir nicht Gram, Cassian.«
Er war ihr nicht böse, sondern sehr erleichtert über ihre Antwort. Gleichzeitig versuchte er den Ärger einzuschätzen, den er auf sich zog. Mica war imstande, sein Haus in Schutt und Asche zu legen, sein Rudel zu verfolgen und zu töten und sollte er einige andere Vampire um sich scharen, sogar den Alpha-Werwölfen massive Probleme zu bereiten. Gleichwohl war Cassian nicht in der Lage Florine abzuweisen. Er konnte sie nicht dem Vampir überlassen, da der Grund seiner Existenz daraus entstanden war, die Menschheit vor ihnen zu schützen. Und er wollte es nicht, da die Vorstellung, sie noch einmal zu verlieren, ein Brennen in seinem Brustkorb auslöste, das stärker war als die Krallen eines Namenlosen.
»Ich bin dir nicht böse, Florine, und ich will auch nicht, dass du gehst.«
Wenn er den Ausdruck in ihrem Gesicht richtig deutete, reichte ihr ein
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