Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
hat, kehre ich zurück.“
„Dann darf ich meinem Herrn ausrichten, dass Ihr seiner Bitte nachkommt?“
„Darfst du“, stimmte Ruben wenig begeistert zu. Rützelsperger hatte ihn zu dieser voreiligen Entscheidung geradezu gezwungen. Zufrieden mit der Antwort vergaß Bertrand den schmählichen Rückzug. Ohne Zweifel mokierte der Leibdiener sich darüber, dass ein Alpha aus altem Geschlecht, ein Sohn der Luna, vor einem alten Mann die Flucht ergriff. An den Flüchen, die Ruben auf dem Weg zu einem Mietstall vor sich hinmurrte, konnte Bertrand sich nicht mehr ergötzen, da er ohne Umwege die Rückreise nach Paris angetreten hatte.
Steifbeinig stieg Ruben in den Sattel. Ein erzürnter Ehemann und Vater hatte ihn aus seinem Hort und Wien vertrieben. Der Aufbruch war lästig so kurz nach den Vollmondnächten. Weder hatte er Gelegenheit gehabt seinen Hunger zu stillen noch konnte er sein Verlangen nach einer Frau befriedigen. Beides war nach dem Vollmond besonders stark ausgeprägt. Unterwegs würde er kaum auf eine Dame treffen, die so exquisit war wie Margarete von Rützelsperger oder so schamlos wie ihre Tochter Johanna. Die beiden hatten ihm unterhaltsame Wochen geschenkt, und er war gerade dabei gewesen, Mutter und Tochter zu überreden …
Einerlei. Es lohnte sich nicht, herumzufantasieren. Seine Pläne für einen verruchten Winter in Wien waren vereitelt. Verdrossen trieb er seinen Rotschimmel in einen leichten Galopp und verließ Wien, ohne noch einmal zurückzublicken.
Der erste Impuls war immer der Beste. Berenike hätte ihm nachgeben und die Brieftaube mit der Armbrust vom Himmel holen sollen. Obwohl es nichts einbrachte, haderte sie mit sich und dem verflixten Federvieh. Mica würde in Rom eintreffen, mit oder ohne Ankündigung. Bei dem Gedanken an ihren unbekannten Bruder unterdrückte sie eine Grimasse. Seit sie denken konnte, hatte ihre Mutter Lobeshymnen über ihren Bruder gesungen, geradezu über ihr ergossen. Held aller Anekdoten war Mica, der Großmeister der Vampire, der goldene Sohn. Als kleines Mädchen hatte sie mit großen Augen und noch größerer Bewunderung alles über ihn aufgesaugt. Bis sie eines Tages, im Alter von sieben oder acht Jahren, erkannt hatte, dass sie im Vergleich denkbar schlecht abschnitt.
Ihr Bruder war ein Gott gewesen, angebetet von den Sterblichen, verehrt von den Vampiren. Neben seinem Glanz wurde sie zu einem dunklen Schmutzfleck. Sie hatte erkannt, dass sie nie eine Göttin sein würde, und seitdem verzichtete sie tunlichst auf einen Spiegel. Ihr Haar wand sie zu einem festen Knoten, weil es schwarz war wie das Meer bei Nacht. Die dunkle Tönung ihrer Haut verbarg sie unter langen Ärmeln. An der Tochter eines Vampirs aus Ägypten war nichts Goldenes. Ihr Vater Am-Heh war sehr alt gewesen, doch es hatte ihm nichts geholfen. Er war vergangen, wie ein jeder vergeht, der sich in die Arme einer Lamia wagte und Leidenschaft über Vorsicht stellte.
In wenigen Tagen würde ein ähnlich alter Vampir, zweifelsohne von gleichwertiger Selbstüberschätzung beseelt, hier aufkreuzen. Eine Lichtgestalt, mit deren Existenz sie sich abfinden konnte, solange sie fern von ihr erstrahlte. Ein Wankelmütiger, dessen Bedenken ihn von seinem Sockel gehoben hatten, um Gesetze zu erlassen zum Schutz der Sterblichen und zum Nachteil aller, die sich von ihnen nährten. Immerhin bot sich bald die Gelegenheit, ihm ihre Meinung dazu mitzuteilen.
„Ein Freudentag!“, trällerte Selene in ihren Unmut hinein. „Mein wunderbarer Sohn besucht uns. Nach so vielen Jahren. Ich frage mich, ob er sich verändert hat. Habe ich mich verändert, Nike?“
Unmerklich schob Berenike die Unterlippe vor. Woher sollte sie das wissen? Vierunddreißig Jahre waren eine zu kurze Spanne, um eine Lamia zu verändern. Selene verhielt dicht vor ihr und erwartete allen Ernstes eine Antwort. Sie sah aus wie immer. Ein Mädchen, das auf achtzehn, neunzehn Jahre geschätzt werden konnte. Eine Knospe kurz vor dem Aufblühen. Feurig wallten ihre Locken über ihren Rücken, gebändigt von einem schlichten Samtband.
„Ist das eine rhetorische Frage, Mama?“
Anmutig glitt Selene durch den Salon. Ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Der Großmeister unseres Volkes gibt seiner Mutter die Ehre“, sagte sie salbungsvoll.
„Unser Volk besteht nicht nur aus Vampiren, sondern auch aus den Lamia. Sie haben ihn nie anerkannt. Aus gutem Grund.“
„Ach was, alte Geschichten.“ Selene winkte ab.
„Wahre
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