Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
mit diesem unerfüllbaren Ultimatum.“
Aurora senkte den Kopf, verbarg sich hinter ihrem Schleier und fühlte sich durchschaut. In ihr setzte die Stimme zu einem Hohngelächter an.
„Am Ende waren es nicht die Larvae“, brüllte Tizzio auf sie herab. „Sie wollen dich, eine verlogene, kleine Hexe. Ebenso gut könnte es diese verdammte Lamia gewesen sein. Selene hat Saphira entführt, um mir eins auszuwischen. Ja, das ist es! Mit ihr werde ich allein fertig. Dazu brauche ich dich nicht!“
Tizzio brüllte noch, als er das Klostergelände verließ. Nachdem er nicht mehr zu hören war, machte sie einige zittrige Atemzüge. Die Entscheidung war gefallen. Ihr Vormund war außerstande, ihren Wunsch zu erfüllen. Saphira war verloren, und sie konnte ihr ereignisloses Dasein, geprägt von Gebeten und nun auch noch Schuldgefühlen, fortsetzen. Bis an das Ende ihrer Tage sicher hinter Mauern verwahrt. Sie hatte nicht anders handeln können, sie sollte zufrieden sein. Als sie ihre Hände vom Tisch zog, blieben feuchte Spuren zurück. Nicht ein Funke Zufriedenheit wollte sich einstellen.
„Hexendreck!“
Es musste der Teufel sein, der unter dem Fenster auf seiner Geige leierte. Die schräge Melodie malträtierte seine Ohren und holte Ruben aus den Tiefen seines wolkenweichen Schlafs dicht an die Oberfläche des Bewusstseins. Doch erst ein Aufschrei rüttelte ihn so weit auf, um zusammenzuzucken.
„Achtung!“
Kaltes Wasser brach über seinen Kopf herein.
Sein Oberkörper ruckte nach oben, während sein Hirn noch gemächliche Kreise durchs Nichts zog. Er schlug die Augen auf und fand sich einer verschwommenen Umgebung gegenüber. Immerhin wurde ihm klar, dass nicht der Teufel drei Stockwerke tiefer geigte, sondern die Musik aus einer Drehorgel kam. Neben seinem Bett stand ein Mann mit einem Wasserkrug. Ruben wischte sich die Tropfen aus den Augen.
„Bertrand?“
„Verzeiht, Herr. Seit einer halben Stunde versuche ich, Euch zu wecken. Ich wusste nicht weiter.“
„Wie bist du hereingekommen?“
„Durch ein Fenster im Treppenhaus bin ich ausgestiegen, über den Sims entlang und in eines Eurer offenen Fenster wieder hinein, Herr“, erläuterte Bertrand gewissenhaft und deutete eine Verneigung an. „Auf mein Läuten habt Ihr nicht reagiert. Ich bedaure unendlich meine Maßnahme. Vielleicht hätte ich warten sollen, bis Ihr wach werdet, aber der Chevalier de Garou nannte es dringlich.“
Fest rieb Ruben über sein Gesicht, streifte sein nasses Haar zurück. Seine Sinne klärten sich allmählich. „Mein Bruder schickt dich?“
Bertrand nickte und zog die Augenbrauen zusammen. „Ist Euch nicht wohl, Herr? Ihr wirkt mitgenommen.“
Ein kranker Alphawolf war für Bertrand ebenso unverständlich wie die beengten Verhältnisse einer Mietwohnung mitten in der Wiener Innenstadt nahe der Hofburg. Der Betawolf sah sich um und nahm es hin, keine Antwort zu erhalten. Ruben schob sich auf die Bettkante zu. Er konnte schlecht zugeben, dass seine Schwerfälligkeit auf einen Opiumrausch zurückzuführen war. Sollte Bertrand lieber daran glauben, es seien die Nachwirkungen der vergangenen Vollmondnächte. Endlich hatte er die Füße zu Boden gesetzt und griff nach der Flasche auf dem Nachttisch. Purer Wein, ohne den Zusatz einer Droge. Er machte ihn nicht im Mindesten munter. Ganz im Gegenteil vollführte sein Magen eine langsame Umdrehung.
„Weshalb schickt dich Cassian zu mir? Gibt es ein Problem?“
„Allzu viel weiß ich nicht darüber, Herr. Der Großmeister der Vampire hat Paris verlassen. Alles Weitere steht wohl in dem Brief für Euch. Natürlich habe ich ihn nicht gelesen.“
„Natürlich nicht.“ Ruben seufzte.
Bertrand klopfte seine Taschen ab und zog den Brief hervor. Die Kanten des Umschlags waren verbogen. Ruben brach das Siegel und zögerte. Die Erwähnung von Mica erforderte einen weiteren Schluck aus der Flasche. Der Vampir und das Bündnis in Paris gehörten zu den Angelegenheiten seiner Sippe, aus denen er sich lieber heraushalten wollte. Es kostete einige Mühe, die krakelige Handschrift seines Bruders zu entziffern. Was der kalte Wasserguss nicht vollbracht hatte, gelang dem Schreiben. Seine Benommenheit verflog. Wieder vollführte sein Magen eine Drehung.
„Hölle“, murmelte er und kratzte seine Bartstoppeln.
Nach Rom sollte er reisen. Zu Verhandlungen mit Tizzio di Mannero. Wie kam Cassian darauf, er stünde mit der Sippe der roten Wölfe auf gutem Fuße? Er kannte die Stadt nur so
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