Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
Geschichten. Ich wiederhole gern deine Worte. Die Vampire sind das schwache Glied einer ansonsten starken Kette. Mein werter Bruder hat durch seinen albernen Kodex, der es verbietet, unsere Quellen zu töten, unser Volk geteilt. Seitdem sind die Vampire zu feige, um Nachkommen mit uns zu zeugen und neue Dynastien zu gründen. Weil Mica uns zu Mördern gemacht hat.“
Eine tiefrote Augenbraue beschrieb einen perfekten, am Ende spitz zulaufenden Bogen. Wohlgefällig, da sie sich die Lektionen der Mutter gemerkt hatte, drückte ihr Selene einen Kuss auf die Stirn.
„Sei nicht garstig, Liebes. Dein Bruder nennt uns nicht Mörder. Sobald du ihm begegnest, wirst du ihn anbeten. Alle beten ihn an. Auch einige der Lamia.“
Berenike würde niemals zu seinen Anbetern gehören. Sie wechselte das Thema. „Er hat nicht geschrieben, was er von dir will.“
Selene schnalzte mit der Zunge. Die Spitze eines Fangzahns blitzte auf. „Sehnsucht führt ihn zu mir. Wir waren einander lange fern. Oh, er wird überrascht und erfreut sein, wenn ich dich ihm vorstelle.“
„Tja, kann sein.“
„Vor gut und gern dreihundert Jahren verließ er Rom. Hier, unter der Herrschaft des Borgia Papstes, habe ich ihn verabschiedet. Weißt du, was er vor seiner Abreise anstellte?“ Berenike unterdrückte einen Seufzer. Ihr drohte eine weitere Anekdote über Mica, den Prächtigen. Selene lachte glockenhell auf. „Er verführte Lucrezia Borgia und kostete von ihrem Blut. Damit nicht genug labte er sich an ihrem Bruder, dem Furcht einflößenden Cesare und verleitete die beiden zur Blutschande. Was für ein Final! Dieser Schelm kam von jeher auf entzückende Ideen.“
„Fürwahr, entzückend.“
Ihretwegen hatte Selene noch nie in die Hände geklatscht. Ihr war es verboten, entzückende Ideen über Blutschande und Inzest auszuführen. Wann Selene ihr Verbot aufhob, stand in den Sternen. Berenike wusste nicht, wie viel Reife sie erlangen musste, um aus der Obhut ihrer Mutter entlassen zu werden. Es könnte nächstes Jahr so weit sein oder erst in hundert Jahren. Bis dahin suchte sie ihre Quellen im Schlaf heim und brachte ihnen Träume von Sinnlichkeit und Liebe. Ob ihr Blut dadurch weniger süß war, wusste sie nicht. Ohnehin wartete sie lieber auf einen Vampir, der ausreichend Erfahrung mitbrachte, um sich mit einer Lamia einzulassen. Mächtig und alt musste er sein, durfte nicht vor dem Gift in ihren Fängen zurückscheuen. Es führte sie unweigerlich auf Mica zurück.
„Weißt du, was ich glaube? Er bereut seinen Fehler und kriecht zu Kreuze.“
Selene lachte auf. „Aber Nike, dein Bruder macht keine Fehler. Er ist der Goldene.“
„Ich bitte dich, Mama. Er zeugte ein Kind mit einer Sterblichen. Schlimm genug, dass ihm das kleine Würmchen verloren ging. So etwas sollte nicht passieren. Und kurz, nachdem er sie wiederfindet – wozu er lange genug brauchte – überlässt er seine Tochter einem Werwolf.“
„Tz!“
„So war es! Und als sei das nicht genug der Schande, schickt er dir eine Botschaft, dass er Großvater eines Geschöpfes geworden ist, das es gar nicht geben dürfte.“
„Florine ist deine Nichte. Sie und ihre Nachkommen sind Teil der Familie. Ob sterblich oder nicht spielt keine Rolle. In ihnen fließt unser Blut. Sie gehören zum Stamm der Mechalath.“
„Stark verdünnt ist dieses Blut, versetzt von dem der Sterblichen und einer Wolfssippe. Florine wuchs unwissend auf, ihr mache ich keinen Vorwurf. Mica allein war es, der versagte. Hätte er deinen Rat beizeiten eingeholt, nichts davon wäre eingetroffen.“
„Liebes, auf deiner Zunge brennt der Geschmack der Eifersucht.“
Berenike erhob sich. Sie war noch nicht so weit, ihren Bruder in die Schranken zu weisen oder gegen ihre Mutter anzukommen, aber sie verstand sich bereits darauf, über den Boden zu gleiten wie heraufziehender Nebel. Ihr Gewand wogte auf.
„Eifersucht liegt einer Lamia fern. Ich bin nicht diejenige, die Situationen falsch einschätzt.“
„Wohin willst du, wenn ich fragen darf?“
„Ich gehe auf die Jagd.“
Hoheitsvoll neigte Selene den Kopf. Ihre Locken fielen nach vorne und leuchteten kupfern auf. „Vergiss bei allem Hunger nicht, die Überreste im Tiber zu versenken.“
Mit einem stillen Lächeln ging Berenike davon. Der Tiber garantierte ein nasses Grab, in dem nicht nur die Blutquellen einer Lamia ihre letzte Ruhestätte fanden. Tagtäglich spuckte der Fluss seine Opfer zurück ans Ufer. Ohnehin war sie in dieser Nacht
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