Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
über ihre Verräter sprachen.“
Ihre gewisperte Unterhaltung wurde von den Wänden verschluckt. Es gab keinen Hall in diesem Grab unter der Erde. Berenike versuchte, sich zu strecken und wurde vom Widerstand des Kokons gebremst. Das musste Saphira verrückt machen. Vielmehr war sie bereits verrückt geworden.
„Es gibt keine Hexen.“
„Es gibt sie, obwohl die meisten Opfer der Inquisition wurden. Die Larvae … ich sollte am Anfang beginnen.“
Saphira schien sich am Klang der eigenen Stimme zu beruhigen. Sie hörte sich nahezu vernünftig an, obwohl das, worüber sie sprach, weitab jeder Vernunft lag.
„Vor knapp zweihundert Jahren wurden Angehörige der Gilden Braglia, Fallone und Conti der Hexerei denunziert und verhaftet. Was ihre Ankläger nicht wussten, die drei Frauen waren die Oberhäupter ihrer Hexengilden.“
„Dann war die Anklage wohl gar nicht so falsch“, bemerkte Berenike.
Saphira gab einen abschätzigen Laut von sich. „Du weißt wohl nichts über die Hexengilden von Rom. Sie haben stets für einen makellosen Leumund gesorgt, waren angesehene Bürger und gehörten zu den großzügigsten Almosengebern. Ämter und Vermögen wurden ihnen zuteil und damit der Neid anderer. Sieben alteingesessene Familien der Stadt schlossen sich zusammen und stießen durch ihre Lügen einen Prozess an. Die drei Hexen wurden der Teufelsanbetung beschuldigt. Angeblich haben sie Brunnen vergiftet und Seuchen über das Vieh im Umland gebracht. Zudem schrieb man ihnen den Tod etlicher Säuglinge zu. Eine Liste aller Anklagepunkte liegt in den Archiven des Vatikans.“
„Heute Nacht werden wir sie kaum aufsuchen können, um die Liste durchzulesen.“
„Danke für den Hinweis“, gab Saphira zurück. Die Bissigkeit der Rudelwölfin hob Berenikes Stimmung. „Jedenfalls wurden die drei Angeklagten verurteilt. Trotz des Einflusses ihrer Freunde sollten sie auf dem Scheiterhaufen brennen.“ Im Tonfall einer Märchentante fuhr Saphira fort. „Während die Flammen das Reisig entzündeten, die Hexen umtosten, nach ihren Leibern züngelten, verhängten die Frauen ihren Fluch über die sieben Familien der Verräter. Der Rauch trug ihn davon, an das Ohr ihrer allgewaltigen Mutter Erde.“
Saphira schwieg als erwartete sie einen Trommelwirbel. Vergeblich harrte Berenike auf die Fortsetzung. Ob nun wahr oder nicht, die Geschichte gefiel ihr. Ihre Neugierde nahm überhand.
„Wie lautete der Fluch?“
„Die Verräter und ihre Angehörigen sollten keine Ruhe finden, weder in ihrem Leben noch in ihrem Tod. Solange einer aus den drei Hexengilden lebt, müssen die Verfluchten über die Erde wandeln. Nacht für Nacht, über endlose Zeiten hinweg. Das sind die Larvae. Und seitdem suchen sie nach den Hexen, um sie zu töten und den Fluch zu brechen.“
Wieder setzte ein Prickeln unter Berenikes Zunge ein. Das war mehr als eine gute Geschichte. Es war eine Tatsache, von der sie nichts gewusst hatte. Selene hatte nie von Larvae oder einem Fluch gesprochen. Ihre Mutter erzählte ihr nicht alles.
„Aber ich bin keine Hexe.“
„Auch ich gehöre nicht zu ihnen. Es gibt nur noch eine Hexe in Rom. Ich kenne ihre Stimme und weiß daher, dass du es nicht bist. Also, was bist du?“
Was und nicht wer. Berenike biss die Zähne aufeinander. Sie würde sich keine Blöße geben. Eine Lamia, die sich einfangenließ wie ein Schaf – wo gab es denn so etwas? Sie brauchte keine Zeugin für diese Peinlichkeit.
„Weshalb antwortest du mir nicht? Du musst anders sein. Die Larvae machen keine großen Unterschiede mehr zwischen Hexen und jenen, die eben anders sind.“ Saphira begann zu hecheln. „Sie haben uns erwischt und in Fäden gesponnen. Ihre Nester werden uns die Kraft rauben, und zu leeren Hüllen machen. Zwischen Todgeweihten sollte es keine Geheimnisse geben.“
Berenike schwieg. Die Wölfin verriet ja selbst nicht, was sie war. Der Kokon verschwamm vor ihren Augen. In ihr keimte etwas auf, das sie nicht zuordnen konnte. Unerträgliche Hitze in ihrem Nacken, ein hartes Trommeln gegen ihre Rippen, ein unsichtbares Seil um ihren Hals. Sie konnte nicht mehr atmen.
Lächerlich! Sie war eine Lamia, sie musste nicht atmen. Zumindest nicht allzu oft. Sie war ein Kind von Selene, in ihr floss das uralte Blut der Mechalath. Sie war keine Todgeweihte, und dieser Kerker war nicht dazu bestimmt, ihr Grab zu werden.
2
H
ohe Zedern säumten das Grundstück. Es gab keinen Zaun, keine Mauer und auch kein Tor, das einem Fremden den
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