Soehne des Lichts
mindestens ebenso viele Krieger. Von den rund 16.000 Männern würden so viele nicht mehr nach Hause zurückkehren, dass dieser Kampf als „Tag des blutroten Wassers“ in die Überlieferung von Lynthis eingehen würde. Fürst Holgén war lebendig gefangen worden; er hatte kapituliert, um noch höhere Verluste zu vermeiden.
Die Mannschaften all jener Schiffe, die ohne Reparatur nicht nach Roen Orm zurücksegeln konnten, wurden kurzerhand zu Besatzern erklärt. Sie sollten in Lynthis bis auf weiteres stationiert bleiben und den Frieden in der Stadt gewährleisten. Alle Toten wurden ohne weiteres Zeremoniell über Bord geworfen, die schwer Verletzten ebenfalls an Land gebracht. Bis in die Abendstunden dauerte es, auch nur einigermaßen für Ordnung und Übersicht zu sorgen.
Janiel zerrte mit aller Kraft an einer Leiche. Der Soldat war schrecklich entstellt, ein Katapultgeschoss hatte die Hälfte seines Kopfs weggerissen. Noch immer war Janiel innerlich taub, er schreckte nicht vor diesem Anblick zurück. Unter dem toten Körper lag ein junger Soldat, und er war das Ziel von Janiels Mühen. Der Mann lebte noch, würde eventuell sogar überleben, wenn er rasch Hilfe bekam. So viele waren heute gestorben, so unendlich viele, nur weil er, Janiel, Lynthis gewählt hatte. Nur, weil diese verdammte Stadt ein vernünftiges Ziel gewesen war.
Vernunft ist ein Luxus der Götter, dachte er, und kämpfte weiter gegen das tote Gewicht. Endlich schaffte er es, die Leiche rutschte auf die Planken und gab den darunter gefangenen Soldaten frei. Ein Kind. Sechzehn Sommer, höchstens, älter konnte der Junge nicht sein. Hellblondes blutverschmiertes Haar. Bleiches blutverschmiertes Gesicht. Tränengefüllte Augen. Blut und Tränen. Janiel wusste, er würde beides nie wieder von seinen Händen waschen können.
„Ich will nach Hause“, wimmerte der Junge.
„Ruhig, ich bringe dich zum Heiler“, sagte Janiel und versuchte, beruhigend zu lächeln. Doch es kostete ihn bereits alles, was er besaß, um aufrecht zu bleiben, also mühte er sich lieber, den Soldat auf die unverletzte Seite zu drehen. Sofort schrie der Junge, anhaltend, durchdringend, bis ihm die Luft wegblieb und er nur noch leise schluchzen konnte.
„Der is‘ hin“, sagte jemand hinter Janiel. Er fuhr herum und sah einen Heiler vor sich.
„Innere Blutungen, sieh, läuft ja schon den Mund raus, Knochen kaputt, und hier, große Fleischwunde am Bein. Der is‘ hin. Kümmer’ dich um andere, die’s noch schaffen können.“
Damit verschwand der Heiler. Die einzige Hoffnung für dieses Kind, überleben zu können.
„Lass mich nicht allein“, wimmerte der Junge und klammerte sich an Janiels Ärmel. Ihm wurde voller Entsetzen klar, dass der viel zu junge Soldat jedes Wort gehört und verstanden hatte.
„Natürlich nicht“, sagte er schnell und legte dem Sterbenden die Hände auf den Kopf. „Ich bleibe bei dir. Möchtest du Tis Segen?“
Er spürte das Nicken unter seinen Fingern und begann, die wunderschönen Segenssprüche zu zitieren, die er stets am meisten unter allen Liturgien geliebt hatte:
„Ti, allsehender Gott, nimm diesen Gläubigen an dein Herz. Schütze und bewahre ihn. Hilf ihm, die Last seines Lebens zu tragen. Ti, allsehender Gott ...“
Der Junge entspannte sich. Als Janiel ihn ansah, breitete sich ein friedliches Lächeln auf dem bleichen Gesicht aus. Janiel spürte, wie die hektischen Atemzüge flacher wurden, wie das Blut aus den zahllosen Wunden stetig langsamer floss.
Nein.
Tonlos sprach er die segnenden Worte, er hörte sich selbst nicht mehr.
Nein.
„Danke, Herr, dank Euch“, wisperte der Junge, fuhr dann zusammen, von Schmerzen gequält.
NEIN!
Unbeherrscht riss er den Jungen hoch in seine Arme. Alles flimmerte vor Janiels Augen. Schon wieder, wie bereits mehrmals während der Schlacht. Er kannte das Gefühl, wenn er sich zu sehr in magischen Strömungen verlor und plötzlich die Welt um sich auf andere Weise wahrnahm, so, als würde alles von einem leuchtenden, langsam pulsierenden Geflecht durchzogen werden. Hirngespinste, nannten Janiels Lehrer dies, warnten ihn eindringlich davor, solche Dinge auch nur vor ihnen zu erwähnen. Es bringe Unglück, von solch verdorbenen Phantastereien zu reden. Verlockungen des Finsterlings, dem ewigen Feind des Guten, des Lichts, der ihm einflüstern wolle, er, Janiel, könne die Welt mit seiner kleinen Magie beherrschen. Man müsse sich nur konzentrieren, immer kontrollieren, damit solch
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