Soehne des Lichts
ähnlich er ihm sieht. Ich konnte es nicht. Seinen Vater konnte ich zerquetschen. Er hingegen ist mein Todesfluch.“ Sie sprach laut, versuchte nicht einmal, ihren Sohn zu schonen. Niyam zuckte
zusammen und betrachtete Eivens Reaktion aus dem Augenwinkel. Der junge Mann senkte den Kopf noch tiefer, ballte kurz die Fäuste. Mehr ließ er sich nicht anmerken.
Niyam schrie innerlich. So viel Schmerz, geboren aus einem Moment der Unachtsamkeit.
Von Kummer erfüllt, griff er nach Eivens Kinn und zwang den Jungen, zu ihm aufzusehen. Eiven fuhr vor ihm zurück, als erwarte er Schläge, wehrte sich allerdings nicht.
„Du weißt, wer ich bin?“, fragte Niyam behutsam. Eiven nickte, dabei entzog er sich seinem Griff.
„Mein Vater hätte dich beinahe getötet“, wisperte er beschämt.
„Ich möchte, dass du eines weißt, Eiven: Ich werfe dir die Sünden deines Erzeugers nicht vor. Du bist nicht mein Feind, und ich bin nicht dein Feind. Ich bin nicht nach Hause gekommen, um unter der Vergangenheit zu leiden, sondern um eine neue Zukunft zu suchen. Du bist ein Teil der Sippe. Ich bin ab heute ein Teil der Sippe. Wir sind also eine Familie.“
Misstrauisch starrte der junge Mann ihn an, suchte in Niyams Gesicht nach etwas, vielleicht Anzeichen von Lüge oder Verrat. Dann ließ die Anspannung in seinem Körper nach und er nickte bedächtig. Mit einem kurzen Blick zu seiner Mutter wich er zurück und verkroch sich zurück in den Schatten.
Niyam verneigte sich leicht vor Roya und wandte sich zum Ausgang. Bevor er die Zweige zurückschlug, sah er sie noch einmal an: Sie stand sehr aufrecht, ließ ihn nicht aus den Augen. Sie sagte kein Wort, doch auf ihren Wangen schimmerten Tränen, und in ihren schmerzgezeichneten Gesicht war etwas geschrieben, das er nicht zu deuten wusste – Dankbarkeit? Mitleid?
Niyam stürzte mit ausgebreiteten Flügeln vom Baum, zurück zum Rest der Sippe. Sie wollten seine Geschichten hören, ihn willkommen heißen, so, wie er es sich immer gewünscht hatte. Er war wieder Zuhause. Dort, wo er niemals würde Frieden finden können.
14.
„Liebe, Liebe ist wichtig. Aber wichtiger noch sind Freunde. Echte Freunde, die auch dann bereit sind für dich zu sterben, wenn sie dich gerade hassen. Sorge am besten dafür, dass dein Geliebter auch dein Freund ist.“
Sinnspruch, Ursprung unbekannt
Corin lehnte mit verschränkten Armen gegen einen Holzstapel und beobachtete die Bemühungen einiger Hexen mitten auf dem Versammlungsplatz. Unter Kytharas Anleitungen errichteten sie einen Käfig aus Holz, Magie und Bannsprüchen. Es gab nur sehr wenige Pya-Töchter, die jene Luftmagie meistern konnten, die hier gebraucht wurde.
Sie schob sich einige widerspenstige Haarsträhnen hinter die Ohren und wartete. Wartete, dass man sie rufen würde. Es war so falsch!
Seit drei Wochen streifte Inani bereits als Monster durch die Lande, terrorisierte Dörfer, Städte, Handelswege. Die Zahl ihrer Opfer stieg stetig – allesamt Sonnenpriester, die sie scheinbar willkürlich auswählte und tötete. Kalt und blutig, jedoch niemals grausam. Wie ein hungriger Panther brachte sie die Priester schnell um, vorzugsweise mit Kehlbissen. Es war ein gutes Zeichen, dass Inani bislang noch kein einziges Opfer gefressen hatte und weiterhin über Magie verfügte. Viele Priester hatten versucht, sich zu schützen. Die grauenerregende Kreatur mit Magie oder Schwert angegriffen, wie man leicht in den Spuren lesen konnte, die zurückgeblieben waren. Inani war offensichtlich allen Attacken unbeschadet ausgewichen. Genau darauf gründete Kytharas Hoffnung, Inani zurück ins menschliche Leben zu rufen, wenn man sie nur einfangen und versuchen konnte, zu ihr vorzudringen.
„Solange sie menschliche Intelligenz besitzt, über ihre Magie verfügt und ihre Beute nicht verschlingt, ist sie noch eine von uns. Aber wir müssen schnell handeln! Je länger sie eine Bestie bleibt, gefangen zwischen Hass, Angst und dem Wunsch, jene zu töten, die sie als Feinde ansieht, desto größer ist die Gefahr, dass wir sie verlieren“, hatte Kythara erklärt. Alle bisherigen Versuche, Inani aufzuspüren waren fehlgeschlagen, nun sollte Corin ihre einzigartigen Fähigkeiten nutzen.
Sie hatte sich schon viele Male vergeblich bemüht; Kythara ging allerdings davon aus, dass Inani irgendwann schwach genug war, um nicht mehr entwischen zu können.
Die letzten Wochen hatte Corin mit Trauer verbracht, und damit, das Lebenswerk ihrer Mutter zu ehren.
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