Soehne des Lichts
bis der Weg zu ihrer Beute frei war.
Ein schriller Schrei rang in ihren Ohren, voller Angst. Solch süße Angst! Fackeln streckten sich ihr entgegen, Feuer, verhasstes Feuer! Inani grollte, wich dem Fackelträger aus. Sie hatte es nicht eilig, die Menschen waren langsam. Ihr Opfer würde nicht entkommen, sie wusste es.
Eines der köstlichen Geschöpfe rannte unentwegt kreischend vor ihr davon. Ein Weibchen. Noch nie hatte Inani das Fleisch ihrer Opfer gekostet, doch sie spürte, diese Nacht würde alles verändern. In dieser Nacht würde sie ihrer Gier folgen, sie war
ausgehungert. Das Weibchen stürzte, und schon war Inani über ihm. Sie wollte ihm rasch die Kehle zerfetzen und weiterhetzen; Inani wusste, die Wachwölfe würden sie bald angreifen, trotz ihrer Angst; und die Männchen würden nicht ewig tatenlos bleiben.
Da hörte sie es. Worte. Ein hoher, reiner Klang. Eine Stimme, die nach ihr rief. Fern ...
Viyama li ba‘u, quedra si la’nae,
ka ur jhe ma, si la na anae na – simao’le.
Simao’le.
Worte. Menschliche Worte. Ferne, süße Worte. Tief in der Bestie, die Inani war, regte sich eine Erinnerung. Was bedeuteten die Worte? Verwirrt starrte sie auf das vor Todesangst japsende Weibchen, das sich unter ihren Pranken zusammenkrümmte. Langsam gab sie es frei, und wich vor ihm zurück.
Die Fackelträger sprangen um sie herum, fauchend wich Inani ihnen aus, suchte nach der Quelle des Gesangs. Ja, es war Gesang, eine Frau, die nach ihr rief.
Wieder erklang das Lied, diesmal hörten es sogar die Menschen und suchten den Ursprung, ebenso verwirrt wie Inani.
Tief grollend wand sie sich, die Worte schmerzten, denn nun verstand sie den Gesang:
Komm zu mir, hör meinen Ruf,
ich warte auf dich, meinen Ruf sollst du hören – Vertraute mein.
Vertraute mein.
Aufjaulend wälzte Inani sich über den Boden, zerrissen von Erinnerungen, Schmerzen, unerträgliche Schmerzen! Wut, Hass, Angst, all dies schlug auf ihre gepeinigten Sinne ein. Ah, sie hasste diejenige, die sie so sehr quälte! Warum ging sie nicht fort? Hörte auf, nach ihr zu rufen?
Etwas wisperte in ihr, sie wollte zu der Sängerin. Nur für einen Herzschlag. Aber die Witterung war ebenfalls nah. Der Geruch des Priesters.
Aufbrüllend sprang Inani mehrere Schritt weit durch die Luft. Die Menschen, die versucht hatten, sich an sie heranzupirschen, warfen sich zur Seite und starrten ihr hilflos nach. Die Holztür. Sie war alles, was Inani noch von ihrer Beute trennte. Ein Prankenhieb, und die Tür fiel krachend ins Innere des niedrigen Steinhauses.
Heißer Feuerschein. Inani blickte in ein Herdfeuer. Wo war er, der Priester der Sonne?
Ein gebeugter, uralter Mann saß auf der Bettkante in der Wohnstube, eine Decke umhüllte die schwache Gestalt. Der Mörder war zum Greis geworden, zu matt, um sich gegen sie zu wehren. Die Bestie in Inani grollte angewidert, sie schüttelte den schweren Kopf. Die Witterung gehörte zu ihm, doch eine echte Beute war das nicht. Nun, alt oder nicht, er hatte gemordet und musste vernichtet werden. Langsam tapste sie auf den Alten zu, lauerte auf jede seiner Regungen. Auch alte Priester besaßen noch Magie, wer wusste schon, wozu er in Todesangst fähig sein mochte?
Ein Schrei ließ sie herumfahren. Eine Frau rannte an ihr vorbei und warf sich schützend vor den Priester.
„Nein, nein, nicht, Vater!“, stammelte sie.
Inani grollte warnend. Das war eine Tochter des Lichts, wusste sie denn nicht, was der Priester ihr antun würde?
„Lass meinen Vater!“, rief sie jammernd. Inani war nicht sicher, ob sie das Weibchen richtig verstanden hatte. Hatte der Priester ihren Verstand verwirrt?
Viyama li ba‘u, quedra si la’nae,
kaur jhe ma …
Wieder dieser Gesang!
Der Alte und die Frau weinten gemeinsam, umklammerten einander voller Panik, als Inani sich geduckt an sie heranschlich.
… si la na anae na – simao’le.
Simao’le …
Die Töchter der Dunkelheit. Dieser Gesang gehörte ihnen, sie riefen damit Seelengefährten zu sich, sofern sie fähig waren, geistig zu ihnen zu sprechen.
Langsam richtete sich Inani auf. Hinter ihr versammelten sich die Dorfbewohner, sie spürte die angsterfüllten Blicke. Dieser Gesang … Es war eine Hexe, und auch wenn sie kein Seelentier war, die Hexe rief nach ihr als Vertraute.
Dann brach etwas in Inani, ein sorgsam errichteter Damm tief im Inneren. Sie streckte die Klauenhand vor, streichelte über die Wange der weinenden Frau. Inani bebte
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