Soehne des Lichts
mühsam auf, wischte sich die Tränen von dem schmalen Gesicht. Sie sah so hilflos aus, wie ein kleines Kind. Thamar ermahnte sich, dass sie eine erwachsene Kriegerin war und wartete, ob sie sich erklären würde. Als sie weiterhin schwieg, setzte er sich nah an ihre Seite, darauf bedacht, sie nicht zu berühren.
„Hat es etwas damit zu tun, dass du gestern Abend nicht mit mir kommen wolltest, sondern eher die Nacht allein in Dunkelheit und Kälte verbracht hättest? Verletzt, mit Feinden in der Nähe?“, fragte er leise. Sie nickte, ohne ihn anzusehen.
„Du wärst gestorben, Avanya. Deine Wunden sind, jede für sich, nicht allzu schwer, haben aber alle heftig geblutet. Ohne Hilfe hätte der Blutverlust, die Kälte oder ein hungriges Raubtier dich getötet.“
„Ich weiß.“ Sie zog die Beine dicht an den Körper und ließ den Kopf auf die Knie sinken. Ihr Haar, das bislang so kunstvoll geflochten und hochgesteckt gewesen war, dass es kaum schulterlang zu sein schien, hatte sich teilweise gelöst. Honigfarbenene Strähnen von erstaunlicher Länge verbargen das kummervolle Gesicht.
„Svern, ich danke dir für deine Hilfe, glaube mir. Es ist … ich kann jetzt nicht mehr nach Hause gehen. Niemals mehr.“
„Dein Volk verstößt dich? Nur, weil du mit einem Menschen in Berührung gekommen bist?“
„Versteh das nicht falsch, mein Volk ist nicht grausam. Es dient unserer Sicherheit. Schon einmal habe ich einen schlimmen Fehler begangen, und bin durch den geheimen Tunneleingang getreten, ohne ganz sicher zu sein, dass niemand mich beobachtet. Chyrsk waren in der Nähe. Durch meine Schuld, durch meine Nachlässigkeit konnten sie in unsere Tunnel einbrechen. Wir haben sie zurückgetrieben, aber der Preis war hoch. Mein Vater wurde getötet, und mehrere Kinder verschleppt. Du weißt nicht, was Chyrsk mit Nola-Kindern anstellen.“ Ihre Stimme brach.
Thamar schwankte unschlüssig, am liebsten hätte er die unglückliche Kriegerin in die Arme genommen, um sie zu trösten. Doch das hätte wahrscheinlich alles noch verschlimmert, also blieb er auf Abstand.
Avanya atmete heftig durch und sprach dann weiter:
„Man hat mich nicht verstoßen für meinen Fehler, das ist nicht die Art meines Volkes. Diesmal wird mich allerdings nichts retten können, es ist Gesetz.“ Sie sah auf und suchte Thamars Blick.
„Wer von einem Angehörigen der feindlichen Völker gefangen genommen wird, darf nicht in die Höhlen zurückkehren. Die Gefahr, dass die Feinde aus ihnen herausgefoltert haben, wo die geheimen Eingänge liegen, ist ebenso groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass man den Verschleppten nur laufen ließ, um ihm zu folgen und zu beobachten, wo er hingeht.“
Langsam schüttelte Thamar denn Kopf. Der Gedanke, welche Auswirkungen seine gut gemeinte Hilfe hatte, war schockierend.
„Die Menschen gelten als Feinde für euch?“, fragte er.
„Ja.“
„Und das ich dich mitgenommen habe, um dir zu helfen, kann man das deinen Leute nicht erklären?“
Avanya lachte bitter. „Man wird glauben, ich wäre unter deiner Folter zusammengebrochen und würde alles sagen, damit du dich bei uns einschleichen kannst. Was auch immer du sagst, niemand wird es verstehen. Ich bin eine der ganz wenigen Nola, die überhaupt die Sprache der Menschen spricht.“
„Warum? Ich meine ...“ Thamar suchte hilflos nach Worten. Warum sahen die Nola Menschen als Feinde an? Warum hatte Avanya dennoch ihre Sprache gelernt? Warum würde ihr niemand glauben? Zu viele Fragen auf einmal schossen durch seinen Kopf.
„Ich gehe gerne nach draußen. Die anderen verstehen das nicht, eine Nola gehört nicht in die Außenwelt. Ich meine, ich liebe die Tunnel und die Höhlen meines Volkes, es ist mein Zuhause. Genauso gerne bin ich hier draußen. Das Licht und die Luft sind so anders ... Die vielen Gerüche stören mich nicht so sehr, ich habe mich daran gewöhnt. Ich bin immer wieder heimlich zu dem Menschendorf in der Nähe gegangen und habe das große Volk beobachtet. Meine Familie mag das nicht, doch solange mich niemand sieht, ist es nicht verboten. Ich durfte auch eure Sprache lernen. Vor einiger Zeit hat mich sogar der Führer aller Clans dafür geehrt, eben weil ich mich mit meinem Wissen nützlich machen konnte.“ Avanya presste fest die Lider zusammen, als würden schmerzliche Erinnerungen sie quälen, sprach aber weiter:
„Ich weiß, dass nicht alle Menschen böse sind. Und du hast mir geholfen. Trotzdem, es gibt keine Möglichkeit, meine
Weitere Kostenlose Bücher