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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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Sorgen.«
    »Wie Sie meinen. Was ist der Grund für Ihren Anruf?«
    »Kannst du mir kurz deinen Vater geben?«
    »Kann ich nicht. Er und meine Mutter arbeiten.«
    »Ach herrje!«, entfuhr es Onur Çalışkan. Na so eine Überraschung, dass zwei Menschen Mitte vierzig am helllichten Tag arbeiteten.
    »Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
    Nachdem er die Lage abgeschätzt hatte, wobei er unverständliche Töne von sich gab, sagte er: »Eigentlich wollte ich deinen Vater darum bitten, dich herzubringen. Kannst du allein hierher kommen?«
    »Schon möglich? Worum geht’s denn?«
    »Darüber reden wir, wenn du hier bist.«
    Ich öffnete die Übergardinen einen Spalt breit und sah hinaus. Endlich war der Regen schwächer geworden. »Einverstanden.«
    »Ich schicke sofort einen Wagen, der dich abholt«, sagte er mit unverhohlener Freude.
    »Machen Sie das auf gar keinen Fall«, platzte es aus mir heraus. »In der Nachbarschaft heiße ich ohnehin nur mehr der Petzer. Da möchte nicht auch noch in einem Polizeiauto gesehen werden.«
    »Ist ja gut, nicht böse werden«, erwiderte Onur Çalışkan in bestmöglichem Zeichentrickton. Offen gestanden störte es mich, dass ich so sehr zu seinem Amüsement beitrug. Als oberschlauer Rotzlöffel und Ähnliches hingestellt zu werden war für mich inakzeptabel. Ich spiele für niemanden den Clown. Und für einen Polizisten schon gar nicht. Mit seinen Spielchen vom guten Polizisten konnte er mich nicht herumkriegen. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass er mich hassen würde, wenn ich fünfzehn Jahre älter wäre. Ich spürte, dass ich alsbald auf Distanz zu ihm gehen musste, um später nicht das Herz des Burschen brechen zu müssen, damit er wieder zu Verstand käme. Mit eisiger Stimme sagte ich: »Ich werde in zwanzig Minuten dort sein«, dann legte ich auf.
    Hakan war hinter mir hergekommen und hatte auf einem der Stühle am Esstisch Position bezogen. »Mit wem hast du denn da so geredet?«, fragte er neugierig.
    »Mit der Polizei«, antwortete ich und begab mich in die Diele.
    »Du schwindelst!«
    Ich konnte mich nicht mit ihm befassen. Wortlos ging ich zur Tür und zog mir einen den Klimabedingungen entsprechenden Mantel über. »Falls du bleiben willst, musst du beim Rausgehen die Tür dreimal mit einem ›Geh mit Gott‹ zuziehen.«
    »Warte eine Minute«, sagte er und war bereits neben mir. In der Hand hielt er ein Papier und einen Stift, die er irgendwo herausgezogen haben musste.
    »Ich hab’s eilig, Hakan.«
    »Wir haben heute in der Schule gelernt, wie man einen Brief schreibt. Unsere Lehrerin wollte, dass wir alle einem Freund einen Brief schreiben«, sagte er mit diesem dämlichen Grinsen, das er immer aufsetzte, wenn er von der Schule sprach. Ich wollte mit meinem Fluch schon bei der Lehrerin beginnen, als er schnell weiterredete. »Keine Sorge, ich hab ihn bereits fertig.«
    »Und was willst du von mir? Dass ich eine Antwort schreibe?«
    Er schüttelte den Kopf. Seine Augen leuchteten. »Ich habe dir den Brief geschrieben.«
    »Das hab ich schon kapiert. Leg ihn irgendwohin. Ich lese ihn, wenn ich wieder zurück bin«, sagte ich, während ich meine Springerstiefel aus dem Schuhschrank nahm.
    »Das geht nicht«, meinte er. »Ich werde ihn dir per Post schicken.«
    Es hatte keinen Sinn, nach dem Grund zu fragen. Ich wusste nur zu gut, dass mein lieber Freund unter jener Starrsinnigkeit litt, die geistig Minderbemittelten so eigen ist. »Tu, was du für richtig hältst, mein lieber Hakan.«
    »Beim Krämer sind allerdings die Briefumschläge ausverkauft. Wenn ihr welche da habt, könntest du mir einen geben?« Ein Nein würde er mir niemals abnehmen, denn er wusste, dass meine Eltern haufenweise Schreibwaren aus dem Amt mit nach Hause brachten. Wütend schmiss ich meine Stiefel in die Ecke, ging ins elterliche Schlafzimmer und zog eine dreißig Jahre alte Air-France-Tasche unter dem Kleiderschrank hervor, die mit Büroartikeln gefüllt war. Ich nahm einen gelben Umschlag mit dem offiziellen Aufdruck vom Amt meiner Eltern und trug ihn zu Hakan. »Ist das denn in Ordnung mit diesem Umschlag?«
    »Wenn er dir nicht gefällt, dann geh zum Schreibwarenladen und kauf dir einen ohne Aufdruck, Hakan.«
    »Okay, okay. Da ist noch etwas. Sei so gut und schreib deine Adresse darauf«, bat er und drückte mir einen Stift in die Hand. »Meine Handschrift ist so schlecht. Ich hab Angst, dass der Briefträger es nicht lesen kann.«
    Ich legte den Umschlag auf den Schuhschrank und tat

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