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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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seine Hand auf meine Schulter, um mir Kraft zu spenden. »Sieh genau hin. Vielleicht erinnerst du dich.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann ihn unmöglich wiedererkennen. Es war dunkel, und ich habe den Mann höchstens eine Sekunde gesehen.«
    »Du hast niemanden gesehen«, sagte der Staatsanwalt und erhob sich. Er kam um den Tisch herum und trat an mich heran. »Bei deiner ersten Aussage hast du so etwas auch nicht erwähnt. Du sagtest erst, dass du jemanden gesehen hättest, als man dich danach fragte. Du lügst, um Aufmerksamkeit zu erregen!«
    Ich würde mich nicht derart herablassen, auf diesen Unfug eine Antwort zu geben. Sein Problem war eindeutig. Er war mit der Aufgabe betraut worden, einen wichtigen Mordfall zu untersuchen. Er hatte eine Leiche und einen Irren, der völlig durchgedreht neben der Leiche gefasst worden war. Das Einzige, was verhinderte, dass die einfache Verbindung zwischen den beiden amtlich wurde, war meine Aussage. Besser gesagt: ein kleines, aber unappetitliches Detail meiner Aussage. Mehr als an der Wahrheitsfindung war er daran interessiert, die Akte schnellstmöglich zu schließen. Der Herr Staatsanwalt würde jedoch noch lange darauf warten müssen, dass ich schniefend und schluchzend meine Lüge eingestand.
    Als der Staatsanwalt eingesehen hatte, dass er nichts mehr aus mir herauskriegen würde, nahm er seinen Regenmantel vom Kleiderständer. Er ging hinaus, ohne uns auch nur ins Gesicht zu sehen, und gab Onur Çalışkan eine letzte Instruktion: »Lasst den Verdächtigen frei.«
    Als er gegangen war, stieß der Kommissar die Luft aus, die er Gott weiß wie lange in seinen Lungen gehalten hatte. Er ging zu seinem Sessel und ließ sich hineinfallen. Er wirkte, als habe man ihn geohrfeigt. »Wir haben vielleicht ein Glück. Dass wir es ausgerechnet mit Metin Bilgin zu tun kriegen mussten«, murmelte er.
    »Metin Bilgin?«
    »Der Staatsanwalt«, erklärte Onur Çalışkan, während er seine Schläfen massierte. »So einen gibt es kein zweites Mal. Der haut einen in die Pfanne. Der Hauptkommissar ist wie vom Erdboden verschwunden, seit er erfahren hat, dass die Aufgabe Bilgin übertragen wurde. Und jetzt dürfen wir es ausbaden.«
    Ich setzte mich in den Sessel vor seinem Schreibtisch. Ich zeigte auf das Messingschild mit seinem Namen. »Mein Vater hat auch so eins.«
    »Ach ja? Was genau macht dein Vater?«
    »Dasselbe wie sie. Er dreht langsam aber sicher durch.«
    Onur Çalışkan warf mir einen interessierten Blick zu. »Bist du wirklich fünf Jahre alt?«
    »Ich will Sie nicht belehren, aber ich würde vorschlagen, dass Sie diese Typen, die Sie festgenommen haben, mal dem verrückten Ertan gegenüberstellen.«
    »Das haben wir längst getan, Herr Oberschlau.«
    Oberschlau? Ich hielt das mal seiner Jugend zugute. »Fazit?«
    »Nur als er Gazanfer sah, fluchte er ein wenig. Für die anderen interessierte er sich gar nicht.«
    »Dass er Gazanfer anfluchte, hat nichts zu sagen. Der Schuft hat den armen Verrückten oft schikaniert«, sagte ich. »Und was denken Sie?«
    In Mike-Hammer-Manier hatte er die Füße auf den Tisch gelegt. »Ich glaube, dass du die Wahrheit sagst, aber es scheint als gesichert, dass der verrückte Ertan den Mord begangen hat. Er hatte überall Hicabi Beys Blut an sich. Und auf dem Messer befanden sich seine Fingerabdrücke.«
    »Hat der Herr Staatsanwalt den verrückten Ertan verhört?«
    »Klar. Er hat seine Aussage höchstpersönlich aufgenommen, um uns zu zeigen, wie man ein Verhör führt.«
    »Fazit?«
    »Er hat etwas höchst Wichtiges in Erfahrung gebracht«, antwortete Onur Çalışkan und machte dabei keinen Hehl aus seinem Spott. »Der verrückte Ertan hat ihm gegenüber ausgesagt, warum er an jenem Abend Hicabi Beys Wohnung aufgesucht hat.«
    Ich hielt meine Aufregung im Zaum. »Ach nee? Warum war er dort?«, fragte ich und stieß dabei in das gleiche Horn.
    »Um sich mit seiner Freundin zu treffen!« Da brach der Herr Kommissar in lautes Gelächter aus.
    Auch ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Der arme Ertan«, murmelte ich. »Metin Bilgin wird ihn kräftig in die Mangel genommen haben.«
    »Aber nein«, sagte Onur Çalışkan. »Er würde sich doch nie die Hände schmutzig machen.« Er wollte noch viel mehr sagen, da schien er sich daran zu erinnern, dass der, der da vor ihm saß, ein Dreikäsehoch war, und verstummte.
    »Ich sollte langsam gehen«, sagte ich und stand auf.
    »Okay. Komm hin und wieder mal vorbei, dann plaudern wir ein

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