Söldner des Geldes (German Edition)
entspannen.
Jetzt, da er wusste, dass Josef von Tobler hinter Anne her gewesen war, war es offensichtlich.
Er war einfach blind gewesen.
Seine eigene Vorstellungskraft hatte nicht ausgereicht. Eigentlich musste man von Tobler nicht gut kennen, um zu sehen, dass er auch im Alter noch den Frauen nachstellte. Wahrscheinlich hatte er sie wie Trophäen gejagt. Und wahrscheinlich hatte er mit seiner dritten Frau, der blonden Schwedin, ein entsprechendes Arrangement.
Und einen Ehevertrag.
Auf jeden Fall verstand Winter jetzt die rührende Grabrede von Toblers. Vielleicht hatte der CEO der Bank Anne auf seine Art geliebt. Anne war etwa gleich alt wie von Toblers Tochter Miriam. Vielleicht war es eine Art väterliche Liebe. Dagegen sprach der anzügliche Liebesbrief, dessen Schrift Winter bekannt vorgekommen war.
Der Brief war eine gute Versicherung.
Er würde ihn sorgfältig aufbewahren.
Wie hatte Anne auf die Avancen von Toblers reagiert? Hatte sie ihm einen deutlichen Korb gegeben, oder hatte sie sich diplomatisch zurückgehalten? Sowohl eine offenkundige Ablehnung als auch ein vages Vielleicht hätte den Jagdinstinkt von Toblers nur angeheizt.
Anne war als Angestellte in einer schwierigen Situation gewesen. Obwohl zwischen ihr und von Tobler mit ihm und Känzig zwei Hierarchiestufen waren, wäre es für sie schwierig gewesen, wenn sie von Tobler verärgerte.
Von Tobler war es gewohnt, alles zu bekommen. Winter hatte mehr als einmal erlebt, wie der Alte unliebsame Mitarbeitende in aller Öffentlichkeit abkanzelte oder cholerisch über andere herzog. Er war ein sehr jovialer Mensch, der aber eine Kehrseite hatte und aufbrausend sein konnte.
War sein Temperament wegen einer Ablehnung von Anne durchgegangen? Winter konnte sich das nicht vorstellen. Aber es war für ihn auch nicht denkbar gewesen, dass der CEO und Verwaltungsratspräsident mit Anne anbandeln wollte. Frauen waren für ihn nur Dekoration. Das Geld, die Bank, das Geschäft hatte für von Tobler immer Priorität.
Sollte er von Tobler konfrontieren? Nein. Noch nicht. Winter war sich nicht sicher, was aus einer solchen Diskussion werden sollte. Seine Beziehung zu von Tobler war gut. Und obwohl Anne tot war, wäre es komisch, mit von Tobler über Anne zu sprechen. Er vertagte die Frage.
Winter erreichte die gedeckte Holzbrücke und überquerte die Aare, um den Rückweg anzutreten. Er verlangsamte das Tempo ein wenig, begann tiefer zu atmen und stellte auf einen Vier-Schritt-pro-Atemzug-Rhythmus um.
Der weiche Waldweg fiel unmerklich ab, und das Wasser floss nun mit Winter. Die Schatten waren länger, und an einigen Stellen mit dichtem Wald umfing ihn bereits das Dunkel der Nacht. Der Himmel war immer noch hell und wolkenlos.
Morgen würde er Fatima am Flughafen abholen und versuchen, Anne hinter sich zu lassen.
Er entschied, Anne in seinen Erinnerungen einen Ehrenplatz zu geben. Er hörte für eine halbe Stunde auf zu denken, gab sich ganz dem Laufen hin und liess sich rhythmisch dem Fluss entlang zurücktreiben.
Als er wieder auf der Höhe seines Hauses war, kam der Endspurt: Ein schmaler, staubiger Pfad führte im Zickzack über etwa hundert Höhenmeter zu seinem Haus empor. Winter nutzte diese letzte Wegstrecke, um seinen Puls noch einmal richtig in die Höhe zu jagen.
Nach einer Stunde brannten seine Oberschenkel.
Aber das Ende war in Sicht.
Winter konzentrierte sich auf den steilen, von Wurzeln überzogenen Weg. Nur nicht stolpern. Er keuchte und schwitzte. Erst als er oben ankam, sah er Meister.
«Hallo, Winter, fit wie immer.»
Meister hielt Sport für Mord.
Winter dachte: Der hat mir jetzt gerade noch gefehlt.
Zwischen zwei Atemzügen stiess er ein «Guten Abend» hervor. Er stützte mit den Händen seinen Rücken und sog gierig die Abendluft ein.
«Ich wohne hier in der Gegend, und als ich sah, dass Sie wieder da sind, dachte ich, ein kleiner Besuch würde nichts schaden.»
Die «Gegend» war nichtssagend, und Winter glaubte ihm kein Wort. Bei Meister gab es keine Zufälle. Er trug die gleichen Sommerhalbschuhe mit den feinen Löchern und dasselbe Hemd. Gekauft im Supermarkt-Multipack.
Winter keuchte: «Morgen wechsle ich meine Nummer.»
Meister schwieg.
Und lächelte. Smiley.
Winter begann sein rechtes Bein zu dehnen. Er legte die Ferse auf einen Baumstrunk und beugte sich über das Knie.
«Winter, Sie waren in den letzten Tagen ziemlich geschäftig. Sie hätten mir ruhig von Ihrer Golfrunde in Genf mit Al-Bader erzählen
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