Söldner des Geldes (German Edition)
teuren Süssigkeiten studierte, las Winter den Kurzbericht über einen nicht namentlich genannten Geldmanager, der in der Altstadt von Boston nach dem Verlassen eines bekannten Restaurants überfallen und ausgeraubt worden war. Normalerweise brachte es ein solcher Zwischenfall knapp in die vermischten Meldungen des Lokalblattes. Aber beim Opfer handelte es sich um einen prominenten Private-Equity-Manager, der zudem unter Verdacht stand, Gelder seiner Investoren in dreistelliger Millionenhöhe veruntreut zu haben. Die innerhalb dreier Minuten eintreffenden Sicherheitskräfte hatten festgestellt, dass dem Geldmanager beide Hände abgehackt worden waren. Eine intensive Suche im Umkreis des Tatortes nach den fehlenden Händen war erfolglos verlaufen. Der Mann hatte viel Blut verloren und stand unter Schock. Er wurde in der Intensivstation einer Privatklinik behandelt, und der leitende Arzt beschrieb seinen Zustand als insgesamt stabil. Aufgrund des Tatherganges schlossen die Behörden nicht aus, dass es sich bei der Tat um fanatische Muslime handelte.
Winter fragte: «Und du meinst, das ist Farmer?»
«Ich bin sicher.» Er grinste und schaute einen Moment an Winter vorbei.
Winter überlegte sich, wie weit ihre Freundschaft ging. Was wusste Al-Bader wirklich? Steckte er hinter dem Überfall auf Farmer? Laut bemerkte er: «Ein Muslim, der das Qisas-Prinzip der Scharia ernst genommen hat?»
«Oder ein Christ, der das Alte Testament wörtlich genommen hat? Auge um Auge, Zahn um Zahn.»
Al-Bader wandte sich an den nahenden Kellner, nahm die Sonnenbrille, tippte mit dem Brillenbügel auf die Speisekarte und bat auf Französisch: «Wären Sie bitte so liebenswürdig und würden mir einen Orangen- und Rosmarinziegel», Al-Bader konsultierte die Karte, «mit pochierter Birne und Araguani-Schokoladen-Duo bringen?»
«Mit Vergnügen, der Herr.» Der Kellner nickte devot.
Winter legte die Zeitung beiseite und bestellte einen Coupe Danmark.
Al-Bader steckte die Sonnenbrille wieder ins Haar. Sein Bruder hatte das gleiche Modell getragen. Der junge Bedienstete mit dem weissen Kittel verschwand, und Winter fragte: «Seid ihr in Kairo auf Kurs?»
«Frag mich in ein paar Jahren wieder. Das dauert. Als Investor brauchst du da einen langen Atem und ein wenig …», er rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander, «Bakshish.» Dann wollte Al-Bader von Winter wissen, was er von einer Investition in den weiteren Ausbau des Hafens vor Shanghai hielt. Als einige Minuten später die kunstvoll angerichteten Desserts heranschwebten, leckte sich Al-Bader die Lippen und erkundigte sich schelmisch: «Und wie geht es Fatima?»
Winter wiegte den Kopf: «Nicht schlecht. Sie würde sich sicherer fühlen, wenn man die Hintermänner des Attentats bei den Pyramiden fassen würde.» Eine Verknüpfung zwischen der Explosion, die Kaddour das Leben gekostet hatte, und Farmer konnte bis jetzt nicht nachgewiesen werden.
Vor zwei Wochen hatten Winter und Fatima ein gemeinsames Wochenende in London verbracht. Fatima hatte ihn in ihr Lieblingsrestaurant ausgeführt und anschliessend verführt. Aber am Sonntagmittag hatten sie irgendwie begonnen aneinander vorbeizureden. Fatima hatte plötzlich darauf bestanden, einen früheren Flug nach Kairo zu nehmen. Seither hatte Winter nichts mehr von der viel beschäftigten Diplomatentochter an der Spitze der Orafin gehört.
Aber sie hatte ihm während des Spaziergangs entlang den Rosenbeeten des Regent’s Park erzählt, dass die Familie Al-Bader in der neu gegründeten Projektierungsgesellschaft hinter dem ägyptischen Staat und Orafin nun der drittgrösste Aktionär war. Er wusste nicht, was die Zukunft brachte. Fatima war auch eine Söldnerin des Geldes. Deshalb warf er den Ball zurück: «Hast du Fatima nicht an der Verwaltungsratssitzung des Kernkraftwerks bei Kairo gesehen?»
«Nein, ich habe einen gut aussehenden Cousin geschickt.» Al-Bader grinste und bestellte zum Verdauen einen Piemonteser Grappa aus Nebbiolotrauben. Als der Kellner mit der schlanken Flasche zurückkam, nahm Al-Bader ihm diese aus der Hand: «Wir nehmen die ganze Flasche.»
Winter zog sein vibrierendes Mobiltelefon hervor. Von Tobler. Er ignorierte den Anruf und steckte das Telefon wieder in die Tasche.
Al-Bader hatte unterdessen die beiden kleinen Gläser randvoll gefüllt und prostete Winter zu: «Auf uns!»
«Auf die Zukunft!»
Sie stürzten die Gläser und schüttelten sich fröstelnd. Der Alkohol brannte in der Kehle. Der
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