Söldner des Geldes (German Edition)
war das?», fragte Luginbühl.
Johannes dachte nach.
«Zwischen halb neun und neun Uhr abends», sagte er schliesslich.
«Was hast du denn so spät dort gemacht?»
Eva Bellwald schaltete sich ein. «Wir wohnen nicht so weit von der Burgruine entfernt. Johannes ist fasziniert von Rittergeschichten, also auch von der Burg. Er geht oft dorthin.»
«Auch nach Einbruch der Dunkelheit?», fragte Luginbühl. «Mit oder ohne Erlaubnis?»
« Mit meiner Erlaubnis», betonte die Mutter. «Jedenfalls tagsüber. Dass er auch in der Dunkelheit dorthin geht, davon hatte ich keine Ahnung. Vermutlich hätte ich ihn gebeten, es nicht zu tun – jedenfalls nicht alleine. Wie leicht kann man in der Dunkelheit stürzen und liegt dann vielleicht bis zum Morgen hilflos da, bis man gefunden wird.» Sie seufzte. «Aber Kinder sind nun einmal abenteuerlustig, nicht wahr? Als wir in Johannes’ Alter waren, haben unsere Eltern auch nicht alles erfahren, was wir gemacht haben.»
Luginbühl schmunzelte. Eva Bellwald hatte ins Schwarze getroffen. «Mein Vater hätte mir sicher jeden Tag den Hosenboden versohlt, wenn er geahnt hätte, was ich alles für Unfug getrieben habe», gab er zu. Dann wandte er sich wieder an den Jungen. «War deine Mutter zu Hause, als du losgegangen bist? Oder dein Vater?»
«Ich bin geschieden», antwortete Eva Bellwald an Johannes’ Stelle. «Donnerstags muss ich bis neun Uhr abends arbeiten.»
Luginbühl nickte dem Jungen aufmunternd zu. «Dann erzähl mal, Johannes, was du gestern Abend bei der Burgruine erlebt hast.»
* * *
Johannes bog in den Fussweg ein, der von der Forststrasse zur Burgruine abzweigte, und knipste seine Taschenlampe an, um nicht über einen der grossen Steine zu stolpern, die verstreut auf dem Pfad lagen. Es war der Abend des 4. Januar 2001 und schon stockfinster. Nebel war aufgezogen, die Temperatur lag um den Gefrierpunkt. Erste Schneeflocken mischten sich in den Nieselregen.
Das Gemäuer der mittelalterlichen Festung ragte im Dunkeln fast bedrohlich empor. Gerade hatte Johannes den Torbogen des Eingangs erreicht, als er ein unerwartetes Geräusch hörte: den Motor eines heranbrausenden Autos. Er drehte sich um und sah einen Wagen genau dort anhalten, wo der Fussweg zur Burg einmündete. Das war eigenartig, denn nur der Forstdienst, die Feuerwehr oder die Polizei durfte diese Strasse mit ihren Fahrzeugen benutzen.
Fünf Gestalten stiegen aus. Johannes sah mehrere Lichter tanzen, wahrscheinlich von Handlampen.
Was wollten sie hier um diese Zeit?
Johannes war schon mehrmals bei Dunkelheit bei der Burgruine gewesen, und er war stolz darauf, dass er nie Angst gehabt hatte. Aber nun bekam er eine Gänsehaut. Noch bei keinem seiner nächtlichen Streifzüge zur Burg war er auch nur einer Menschenseele begegnet. Auf keinen Fall, entschied er, wollte er von diesen Leuten gesehen werden.
Während er sich vom Eingang entfernte, schirmte er den dünnen Lichtstrahl seiner Taschenlampe mit der Hand ab. Als er die Nische in der Burgmauer gefunden hatte, knipste er sie aus, noch bevor er richtig in sein Versteck hineingeschlüpft und in die Hocke gegangen war. Eigentlich wusste er, dass er hier nicht gesehen werden konnte. Trotzdem hätte er vor Schreck beinahe aufgeschrien, als ein Lichtkegel auf einmal ganz in seiner Nähe vorbeihuschte.
Dass eine der fünf Personen sich anders bewegte als die anderen, hatte er bis dahin nicht wahrgenommen. Doch jetzt fiel der Lichtstrahl voll auf diese Gestalt, und er sah einen Mann, dem die Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Die Kapuze war ihm übers Gesicht gezogen und ein Seil um die Hüften geschlungen worden, an dem er vom Vorausgehenden den Weg entlanggezerrt wurde. Derjenige, der hinter ihm ging, stiess ihm immer wieder die Faust in den Rücken oder gab ihm einen Fusstritt. Das Ganze geschah lautlos, und es war das Unheimlichste, was Johannes in seinem Leben je gesehen hatte. Als die Gestalten in der Burg verschwanden, wäre er am liebsten weggelaufen, aber er hatte zu grosse Angst, entdeckt zu werden.
Dann vernahm er leise Stimmen, die von der Plattform hoch oben auf dem Turm zu kommen schienen.
«Ich kann nicht mehr … Hört bitte auf», glaubte er zu verstehen. «Ich bin doch auf eurer Seite … Ich bin kein Verräter …»
Es folgte unverständliches Gemurmel. Dann liessen ein klatschendes Geräusch und ein Schmerzensschrei ihn vor Schreck erstarren. «Hört auf!», flehte die Stimme immer wieder. Dann hörte er nur noch
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