Söldner des Geldes (German Edition)
Sonnenwärme ab. Eine smaragdene Eidechse huschte vorbei und verschwand zwischen den Kalksteinen. Links und rechts erkannte Winter im Blättermeer schon gut ausgebildete, aber noch kleine und feste Weintrauben. Die Reben rochen nach Sommer. Es zirpte.
Die Rebbauern hatten jeden erdenklichen Flecken Erde terrassiert. Die mannshohen Rebstöcke waren in Reih und Glied an Drähten aufgebunden, die zwischen Metallpfosten gespannt waren. Die Terrassen überzogen die leicht geschwungenen Hänge wie eine Patchworkdecke.
Die beiden Freunde plauderten entspannt. Tibères elegante Halbschuhe machten bei jedem Schritt ein klickendes Geräusch. Bei einem Aussichtspunkt blieben sie stehen, lehnten sich ans Geländer und schauten auf den Genfersee hinunter.
Hinter sich sahen sie das junge Paar, Arm in Arm. Sie gingen ganz langsam. Sie wollten Winter und Tibère nicht überholen.
Winter dachte: Einfach.
Das Paar hielt etwa dreissig Meter vor ihnen an und begann sich innig zu küssen. Der Rosenstrauss schaukelte.
Sie warteten.
Ein kleines, lautes Motorrad kam aus der Gegenrichtung und tuckerte vorbei.
Die beiden Männer schauten sich fragend an. Romeo und Julia. Hatten sie sich getäuscht? War das Paar echt und küsste sich tatsächlich? Oder taten sie nur so? In der Dämmerung konnten sie die Gesichter nicht erkennen. Der Mann hatte die Arme um die Frau gelegt, und das Sommerjackett spannte sich. Am unteren Rücken des Mannes zeichnete sich ein Pistolenhalfter ab. Romeo war bewaffnet.
Das Paar hörte auf sich zu küssen. Sie stützten sich auf das Geländer und schauten auf den See hinaus. Der Mann zeigte mit der rechten Hand auf die andere Seeseite und flüsterte der Frau etwas zu. Ein Rechtshänder.
Auf der Strasse war ansonsten keine Menschenseele zu sehen.
Winter wollte die Initiative behalten. Er zeigte mit dem Kinn zurück zum Restaurant, und sie setzten sich langsam in Bewegung.
Das Paar ignorierte die beiden Männer demonstrativ.
Im toten Winkel des gelierten Mannes angekommen, machte Winter lautlos einige schnelle Schritte auf den Romeo zu. Er klopfte ihm auf die Schulter und sagte laut: «Guten Abend!»
Das Paar fuhr herum, und Romeo richtete eine mattsilberne Pistole auf Winters Kopf. Für Winter liefen die nächsten Sekunden in Zeitlupe ab. Er wusste genau, was er tat, denn er hatte die Bewegung zehntausend Mal geübt.
Winter drehte den Kopf lächelnd zum See. Die Augen des Mannes folgten unwillkürlich dem Blick. Dieser Sekundenbruchteil genügte Winter, um blitzschnell nach dem Lauf der Waffe zu greifen.
Zuerst mit der linken Hand den Lauf nach unten und aussen drehen. Falls sich ein Schuss löste, würde dieser ihn verfehlen. Dann mit dem Daumen den Schmerzpunkt der Greifhand drücken und dem Gegenüber mit einer runden Bewegung der rechten Hand die Waffe aus der Hand drehen. Den Gegendruck abwarten und mit beiden Händen Handgelenk, Ellbogen und Schulter auf die gegenüberliegende Seite hebeln.
Romeo war entwaffnet, in gebeugter Haltung und in einem schmerzhaften Hebelgriff. Bei Bedarf konnte Winter mit einem kleinen Ruck die Schulter des Mannes auskugeln. Die Schulterkapsel war durchsetzt mit empfindlichen Nerven.
Julia kreischte und griff mit dem Rosenstrauss an. Tibère hatte keine Lust auf ein zerkratztes Gesicht. Er unterlief den Rosenstrauss und nutzte das Momentum, um den Arm der Frau in den Polizeigriff zu nehmen. Der Rosenstrauss lag am Boden, und Tibère meldete: «Erledigt.»
Winter warf die Waffe des jungen Mannes in den Strassengraben, manövrierte ihn zum Geländer und zwang seinen Kopf durch das Geländer. Mit der freien Hand griff Winter in das Gel der Haare und zog den Kopf gegen hinten. Der junge Mann hatte eine gute Aussicht, konnte diese aber nicht geniessen.
«Wenn du lügst, breche ich dir zuerst das Handgelenk, dann den Ellbogen, dann die Schulter und zuletzt das Genick. Ist das klar?» Um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, erhöhte Winter beim Nennen der einzelnen Körperteile jeweils den entsprechenden Druck. Der junge Mann nickte, so gut es ging. Winter hörte ein röchelndes «Ja».
«So. Erste Frage: Wie ist dein Name?» Es war immer gut, mit einer einfachen Frage zu beginnen.
«Romero.»
Fast getroffen.
«Und?» Ein bisschen Zug am Haaransatz.
«Sanchez.»
«Wo wohnst du?»
«In Zürich.»
«Adresse.» Der Mann gab eine Adresse in einem Arbeiterquartier Zürichs an.
«Für wen arbeitest du?»
«Ich bin selbstständiger PI , das heisst Private
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