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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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sein, dass das, was wir sehen und hören, riechen und schmecken, so ist, wie wir es empfinden.«
    »Ja und nein. Das ist die zweite Frage, die Locke zu beantworten versucht. Er hat zuerst erklärt, woher wir unsere Ideen und Vorstellungen nehmen. Aber dann fragt er auch, ob die Welt wirklich so ist, wie wir sie empfinden. Das ist nämlich durchaus nicht selbstverständlich, Sofie. Wir dürfen nichts übereilen. Das ist das Einzige, was einem echten Philosophen verboten ist.«
    »Ich bin stumm wie ein Fisch.«
    »Locke unterschied zwischen den, wie er es nannte, ›primären‹ und ›sekundären‹ Sinnesqualitäten. Und hier reicht er den Philosophen vor ihm die Hand – zum Beispiel Descartes.«
    »Erklär mir das!«
    »Unter primären Sinnesqualitäten versteht er Ausdehnung, Gewicht, Form, Bewegung und Anzahl der Dinge. Bei solchen Eigenschaften können wir uns sicher sein, dass die Sinne die wirklichen Eigenschaften der Dinge wiedergeben. Aber wir empfinden auch andere Eigenschaften der Dinge. Wir sagen, etwas sei süß oder sauer, grün oder rot, warm oder kalt. Das bezeichnet Locke als sekundäre Sinnesqualitäten . Und solche Sinneseindrücke – wie Farbe, Geruch, Geschmack oder Klang – geben keine wirklichen Eigenschaften wieder, die in den Dingen selber liegen. Sie geben nur die Einwirkung der äußeren Eigenschaften auf unsere Sinne wieder.«
    »Über Geschmack lässt sich eben nicht streiten.«
    »Genau. Über die primären Eigenschaften – wie Größe und Gewicht – können wir uns alle einig sein. Weil sie in den Dingen selber liegen. Aber die sekundären Eigenschaften – wie Farbe und Geschmack – können von Tier zu Tier und von Mensch zu Mensch variieren, abhängig davon, wie der Sinnesapparat des jeweiligen Individuums beschaffen ist.«
    »Wenn Jorunn eine Apfelsine isst, macht sie genau dasselbe Gesicht wie andere bei einer Zitrone. Sie schafft in der Regel nie mehr als nur ein Stückchen. ›Sauer‹, sagt sie. Und ich finde meistens genau dieselbe Apfelsine angenehm süß und lecker.«
    »Und keine von euch hat Recht, aber es irrt sich auch keine. Ihr beschreibt nur, wie diese Apfelsine auf eure Sinne wirkt. So ist es auch mit dem Erleben von Farben. Vielleicht denkst du, dass dir ein bestimmter Rotton nicht gefällt. Wenn Jorunn sich gerade ein Kleid in diesem Ton gekauft hat, solltest du dein Empfinden vielleicht lieber für dich behalten. Ihr erlebt diesen Farbton unterschiedlich, aber das Kleid ist weder hübsch noch hässlich.«
    »Aber alle sind sich darüber einig, dass eine Apfelsine rund ist.«
    »Ja, wenn du eine runde Apfelsine hast, dann kannst du sie nicht als würfelförmig empfinden. Du kannst sie süß oder sauer finden, aber du kannst nicht ›finden‹, dass sie acht Kilo wiegt, wenn sie nur zweihundert Gramm schwer ist. Du kannst vielleicht ›glauben‹, dass sie mehrere Kilo wiegt, aber dann bist du ganz schön auf dem Holzweg. Wenn mehrere Leute schätzen sollen, wie viel ein Gegenstand wiegt, dann hat immer eine ein wenig mehr Recht als die anderen. Das gilt auch für die Anzahl der Dinge. Entweder stecken 986 Erbsen in der Flasche oder nicht. So ist es auch mit der Bewegung. Entweder bewegt sich das Auto – oder es steht still.«
    »Ich verstehe.«
    »In Bezug auf die ›ausgedehnte Wirklichkeit‹ ist Locke also derselben Meinung wie Descartes, nämlich, dass sie gewisse Eigenschaften aufweist, die der Mensch mit seinem Verstand erfassen kann.«
    »Dem zuzustimmen, ist ja wohl auch keine Kunst.«
    »Auch in anderen Bereichen lässt Locke das zu, was er als ›intuitives‹ oder ›demonstratives‹ Wissen bezeichnet. Er meinte zum Beispiel, dass gewisse ethische Grundregeln allen gegeben sind. Damit vertritt er also den so genannten Naturrechtsgedanken und das ist ein rationalistischer Zug an ihm. Ein ebenso klarer rationalistischer Zug ist, dass Locke glaubt, es liege in der menschlichen Vernunft, dass es einen Gott gibt.«
    »Vielleicht hatte er Recht.«
    »Womit denn?«
    »Damit, dass es einen Gott gibt.«
    »Das ist natürlich vorstellbar. Aber er lässt das nicht einfach eine Glaubensfrage sein. Er meint, dass die Gotteserkenntnis des Menschen der menschlichen Vernunft entspringt. Das ist ein rationalistischer Zug. Ich muss hinzufügen, dass er Meinungsfreiheit und Toleranz verteidigte. Er propagierte außerdem die Gleichberechtigung der Geschlechter. Die untergeordnete Stellung der Frau hatten seiner Ansicht nach die Menschen geschaffen. Und deshalb konnten

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