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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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unsere Vernunft beweisen können, wie wir uns zu verhalten haben. Verantwortungsbewusstes Handeln bedeutet nicht, dass wir unsere Vernunft schärfen, sondern dass wir unsere Gefühle für das Wohl und Wehe der anderen schärfen. Es ist nicht vernunftwidrig, die Zerstörung der ganzen Welt einem Kratzer am Finger vorzuziehen, meinte Hume.«
    »Was für eine scheußliche Behauptung!«
    »Es geht sogar noch scheußlicher. Du weißt, dass die Nazis Millionen von Juden ermordet haben. Was, würdest du sagen, stimmte nicht bei diesen Menschen, ihre Vernunft oder ihre Gefühle?«
    »Vor allem stimmte etwas nicht mit ihren Gefühlen.«
    »Viele von ihnen waren verdammt klar im Kopf. Hinter den gefühllosesten Beschlüssen kann eben oft eiskalte Berechnung stecken. Nach dem Krieg wurden viele Nazis verurteilt, aber nicht, weil sie unvernünftig gewesen wären. Sie wurden wegen ihrer Grausamkeit verurteilt. Es kommt auch vor, dass Leute, die nicht ganz klar im Kopf sind, trotz ihrer Verbrechen freigesprochen werden. Wir bezeichnen sie als ›unzurechnungsfähig im Augenblick der Tat‹ oder als ›auf Dauer unzurechnungsfähig‹. Aber noch nie ist jemand wegen Gefühllosigkeit freigesprochen worden.«
    »Nein, das wäre ja noch schöner!«
    »Aber wir brauchen nicht einmal auf die allergroteskesten Beispiele zurückzugreifen. Wenn nach einer Überschwemmungskatastrophe viele Menschen Hilfe brauchen, dann entscheiden unsere Gefühle, ob wir eingreifen. Wenn wir gefühllos wären und diese Entscheidung der ›kalten Vernunft‹ überließen, dann würden wir uns vielleicht überlegen, dass es nur gut ist, wenn in einer Welt, die ohnehin schon unter Übervölkerung leidet, ein paar Millionen Menschen sterben.«
    »Es macht mich fast wütend, dass jemand so denken kann.«
    »Und dann ist es nicht deine Vernunft, die wütend wird.«
    »Danke, das reicht.«

Berkeley
    ... wie ein schwindliger Planet um eine brennende Sonne ...
    Alberto trat ans Fenster und Sofie stellte sich neben ihn. Nach einer Weile sahen sie, wie ein kleines Propellerflugzeug über den Hausdächern auftauchte. Am Flugzeug war ein langes Banner befestigt.
    Sofie erwartete eine Reklame für ein großes Konzert oder so etwas auf dem Stück Stoff, das wie ein langer Schwanz hinter dem Flugzeug herflatterte. Aber als es näher kam, sah sie, dass dort etwas ganz anderes stand:
    »HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH ZUM 15. GEBURTSTAG, HILDE!«
    »Aufdringlich«, war Albertos einziger Kommentar.
    Dunkle Wolken wälzten sich von den Hügeln im Süden her auf die Stadt zu. Das kleine Flugzeug verschwand in einer dieser schweren Wolken.
    »Ich fürchte, es gibt ein Unwetter«, sagte Alberto.
    »Dann fahre ich mit dem Bus nach Hause.«
    »Wenn nur hinter dem Unwetter nicht auch der Major steckt.«
    »Der ist doch wohl nicht allmächtig?«
    Alberto gab keine Antwort. Er ging zum kleinen Tisch zurück und setzte sich in den Sessel.
    »Wir müssen noch ein bisschen über Berkeley reden«, sagte er.
    Sofie hatte sich schon gesetzt. Sie ertappte sich dabei, dass sie das Nägelkauen angefangen hatte.
    » George Berkeley war ein irischer Bischof, der von 1685 bis 1753 lebte«, begann Alberto und dann sagte er lange Zeit nichts mehr.
    »Berkeley war ein irischer Bischof ...«, Sofie nahm den Faden wieder auf.
    »Aber er war auch Philosoph ...«
    »Ja?«
    »Er glaubte, dass die Philosophie und Wissenschaft seiner Zeit die christliche Weltanschauung bedrohten. Nicht zuletzt erlebte er den immer konsequenteren Materialismus als Bedrohung des christlichen Glaubens, dass Gott alles in der Natur schafft und am Leben erhält ...«
    »Ja?«
    »Gleichzeitig war Berkeley einer der allerkonsequentesten Empiriker.«
    »Er glaubte, dass wir nicht mehr von der Welt wissen können als wir empfinden?«
    »Und nicht nur das. Berkeley meinte, dass die Dinge auf der Welt genau so sind, wie wir sie empfinden, aber sie sind keine ›Dinge‹.«
    »Das musst du genauer erklären.«
    »Du weißt doch noch, dass Locke darauf hingewiesen hatte, dass wir nichts über die ›sekundären Eigenschaften‹ der Dinge sagen können. Wir können nicht behaupten, ein Apfel sei grün und säuerlich. Nur wir empfinden diesen Apfel schließlich so. Aber Locke hatte auch gesagt, dass die ›primären Eigenschaften‹ – wie Festigkeit, Gewicht und Schwere – wirklich zur äußeren Wirklichkeit um uns herum gehören. Diese äußere Wirklichkeit hat also eine physische ›Substanz‹.«
    »Ich habe noch immer dasselbe gute

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