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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Wahrheiten, die für das Leben des Einzelnen wichtig sind. Wichtig sei, so meinte er, die ›Wahrheit für mich‹ zu finden. Er stellte also das Individuum – oder den Einzelnen – dem ›System‹ gegenüber. Kierkegaard meinte, Hegel habe vergessen, dass er selber auch nur ein Mensch war. Er macht sich lustig über den im Wolkenkuckucksheim residierenden hegelschen Professorentyp, der, während er das gesamte Dasein erklärt, in seiner Zerstreutheit vergisst, wie er heißt, und dass er ein Mensch ist, ganz einfach ein Mensch und kein fleischgewordener Teil von irgendeinem ausgeklügelten Paragraphen.«
    »Und was ist für Kierkegaard ein Mensch?«
    »Das kannst du nicht so allgemein beantworten. Eine allgemein gültige Beschreibung der menschlichen Natur oder des menschlichen ›Wesens‹ ist für Kierkegaard völlig uninteressant. Wesentlich ist die Existenz des Einzelnen. Und der Mensch erlebt seine eigene Existenz nicht hinter einem Schreibtisch. Erst wenn wir Menschen handeln – und vor allem wenn wir eine wichtige Wahl treffen –, verhalten wir uns zu unserer eigenen Existenz. Eine Geschichte über Buddha kann illustrieren, was Kierkegaard gemeint hat.«
    »Über Buddha?«
    »Ja, denn auch Buddhas Philosophie nahm die menschliche Existenz zum Ausgangspunkt. Es war einmal ein Mönch, der meinte, Buddha gebe unklare Antworten auf wichtige Fragen, zum Beispiel auf die, was die Welt oder was ein Mensch ist. Buddha antwortete mit dem Hinweis auf jemanden, der von einem giftigen Pfeil verletzt worden ist. Dieser Mensch werde niemals aus rein theoretischem Interesse danach fragen, woraus der Pfeil gemacht ist, in welches Gift er getaucht wurde, oder aus welchem Winkel er selber beschossen worden ist.«
    »Er würde wahrscheinlich wollen, dass ihm jemand den Pfeil herauszieht und die Wunde behandelt?«
    »Ja, nicht wahr? Das wäre für ihn existentiell wichtig. Buddha und Kierkegaard empfanden beide sehr stark, dass sie nur für kurze Zeit existierten. Und wie gesagt: Dann setzt man sich nicht hinter einen Schreibtisch und spekuliert über den Weltgeist.«
    »Ich verstehe.«
    »Kierkegaard hat auch gesagt, dass die Wahrheit ›subjektiv‹ sei. Damit wollte er nicht behaupten, dass es egal ist, was wir glauben oder meinen. Er meinte nur, dass die wirklich wichtigen Wahrheiten persönlich sind. Nur solche Wahrheiten sind ›Wahrheiten für mich‹.«
    »Kannst du mir ein Beispiel für so eine subjektive Wahrheit geben?«
    »Eine wichtige Frage ist zum Beispiel, ob das Christentum die Wahrheit ist. Zu dieser Frage kann man Kierkegaard zufolge kein theoretisches oder akademisches Verhältnis haben. Für jemanden, der sich selber als existierend begreift, geht es dabei um Leben oder Tod. Darüber diskutiert man nicht einfach aus Liebe zur Diskussion. Es ist etwas, dem wir uns mit der größten Leidenschaft nähern.«
    »Ich verstehe.«
    »Wenn du ins Wasser fällst, hast du kein theoretisches Verhältnis zu der Frage, ob du ertrinken wirst oder nicht. Dann ist es weder interessant noch uninteressant, ob es im Wasser Krokodile gibt. Es ist eine Frage von Leben und Tod.«
    »Ja, allerdings!«
    »Wir müssen also unterscheiden zwischen der philosophischen Frage, ob es einen Gott gibt, und dem Verhältnis des Individuums zu derselben Frage. Diesen Fragen steht jeder einzelne Mensch ganz allein gegenüber. Außerdem können wir uns diesen Fragen nur durch den Glauben nähern. Dinge, die wir mit unserer Vernunft erfassen können, sind für Kierkegaard unwesentlich.«
    »Nein, das musst du erklären.«
    »Acht plus vier ist zwölf, Sofie. Das können wir ganz sicher wissen. Es ist ein Beispiel für die Vernunftwahrheiten, von denen alle Philosophen seit Descartes gesprochen hatten. Aber wollen wir sie in unser Abendgebet einschließen? Und werden wir uns auf dem Totenbett darüber den Kopf zerbrechen? Nein, solche Wahrheiten können so ›objektiv‹ und ›allgemein‹ sein, wie sie wollen, sie sind gerade darum für die Existenz des Einzelnen gleichgültig.«
    »Was ist mit dem Glauben?«
    »Du kannst nicht wissen, ob ein Mensch dir verziehen hat, wenn du etwas falsch gemacht hast. Aber gerade darum ist es für dich existenziell wichtig. Es ist eine Frage, zu der du eine lebendige Beziehung hast. Du kannst auch nicht wissen, ob jemand anders dich gern hat. Du kannst es nur glauben oder hoffen. Trotzdem ist es für dich wichtiger als die unbestreitbare Tatsache, dass die Winkelsumme in einem Dreieck 180° beträgt. Man

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