Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
passieren würde, worüber weder sie noch ihr Vater so richtig den Überblick hatten.
Eins stand jedenfalls fest: Ehe ihr Vater nach Bjerkely heimkehrte, sollte er einen kleinen Denkzettel verpasst bekommen. Das war das Mindeste, was sie für Sofie und Alberto tun konnte, fand Hilde. Sie hatten sie schließlich um Hilfe gebeten ...
Ihre Mutter war noch immer im Bootshaus. Hilde schlich ins Erdgeschoß hinunter und ging zum Telefontisch. Sie suchte sich die Nummer von Anne und Ole in Kopenhagen heraus und wählte.
»Anne Kvamdal.«
»Hallo, hier ist Hilde.«
»Ach, wie nett! Wie geht’s denn in Lillesand?«
»Sehr gut, Sommerferien und so. Und jetzt dauert es nur noch eine Woche, bis Papa aus dem Libanon zurückkommt.«
»Das wird sicher schön, was, Hilde?«
»Klar, ich freu mich. Und weißt du – gerade deshalb rufe ich auch an ...«
»Ach?«
»Ich glaube, er landet am 23. gegen fünf Uhr nachmittags in Kopenhagen. Seid ihr dann zu Hause?«
»Ich glaub schon.«
»Ich wollte bloß wissen, ob ihr mir einen kleinen Gefallen tun könnt.«
»Das ist doch klar.«
»Aber es ist ein etwas ausgefallener Gefallen. Ich weiß nicht mal, ob das überhaupt geht.«
»Jetzt machst du es aber spannend.«
Und nun erzählte Hilde. Sie erzählte vom Ordner und von Alberto und Sofie und überhaupt allem anderen. Mehrmals musste sie neu anfangen, weil sie oder ihre Tante losprusteten. Aber als sie auflegten, war Hildes Plan besiegelt.
Auch zu Hause musste sie gewisse Vorbereitungen treffen. Naja – das hatte eigentlich keine Eile.
Den restlichen Nachmittag und Abend verbrachte Hilde mit ihrer Mutter. Schließlich fuhren sie nach Kristiansand und gingen ins Kino, als eine Art Geburtstagsfeierersatz, weil sie am Vortag ja nicht richtig gefeiert hatten. Als sie an der Abzweigung zum Flugplatz vorbeikamen, fügten sich noch einige Teile zu dem großen Puzzlespiel zusammen, an das Hilde seit dem Morgen ununterbrochen dachte.
Erst als sie an diesem Abend spät ins Bett ging, las sie weiter in dem großen Ordner.
Als Sofie durch die Höhle kroch, war es schon fast acht. Ihre Mutter arbeitete an den Blumenbeeten vor dem Eingang, als sie auftauchte.
»Wo kommst du denn her?«
»Durch die Hecke.«
»Durch die Hecke?«
»Weißt du nicht, dass es auf der anderen Seite einen Weg gibt?«
»Wo hast du denn bloß gesteckt, Sofie? Du bist schon wieder nicht zum Essen gekommen, ohne Bescheid zu sagen.«
»Tut mir Leid. Es war so schönes Wetter. Ich habe einen langen Spaziergang gemacht.«
Erst jetzt stand ihre Mutter auf und sah sie an.
»Du hast dich doch wohl nicht schon wieder mit diesem Philosophen getroffen?«
»Doch, schon. Ich hab dir doch erzählt, dass er gern spazieren geht.«
»Aber er kommt zum Gartenfest?«
»Ja, sicher, er freut sich.«
»Das mache ich auch, Sofie. Ich zähle die Tage.«
Lag nicht eine Spur von Gift in ihrer Stimme? Sicherheitshalber sagte Sofie:
»Ich bin froh, dass ich auch Jorunns Eltern eingeladen habe. Sonst wäre es doch ein bisschen zu peinlich.«
»Tja ... auf jeden Fall werde ich mich mit diesem Alberto einmal unter vier erwachsenen Augen unterhalten.«
»Ihr könnt auf mein Zimmer gehen. Ich bin ganz sicher, dass er dir gefallen wird.«
»Aber das ist noch nicht alles. Es ist ein Brief für dich gekommen.«
»Ach ...«
»Auf dem Stempel steht: ›UN-Regiment‹.«
»Dann kommt er von Albertos Bruder.«
»Also, jetzt reicht es wirklich, Sofie.«
Sofie dachte fieberhaft nach und nach ein paar Sekunden war ihr eine passende Antwort eingefallen. Ein hilfreicher Geist schien sie inspiriert zu haben.
»Ich habe Alberto erzählt, dass ich seltene Poststempel sammle. Da kannst du sehen, wozu Brüder gut sind.«
Mit dieser Antwort konnte sie ihre Mutter offenbar beruhigen.
»Das Essen steht im Kühlschrank«, sagte sie schon in einem etwas versöhnlicheren Ton.
»Wo ist der Brief?«
»Auf dem Kühlschrank.«
Sofie stürzte in die Küche. Der Brief war am 15.6.1990 abgestempelt. Sie öffnete den Umschlag und hielt gleich darauf einen ziemlich kleinen Zettel in der Hand:
Was soll uns denn das ewge Schaffen!
Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen!
Nein, auf diese Frage wusste Sofie keine Antwort. Vor dem Essen legte sie den Zettel zusammen mit allem anderen Treibgut, das sich in den letzten Wochen bei ihr gesammelt hatte, in den Schrank. Sie würde schon noch früh genug erfahren, warum ihr diese Frage gestellt worden war.
Am nächsten Vormittag kam Jorunn zu Besuch.
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