Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
uns ist außerdem ein einzigartiges Individuum, das nur dieses eine und einzige Mal lebt.«
»Das hatte Hegel scheinbar nicht sonderlich interessiert?«
»Nein, dem ging es eher um die großen Linien in der Geschichte. Und genau das hat Kierkegaard geärgert. Er meinte, die Einheitsphilosophie der Romantiker und Hegels Historismus hätten dem Individuum die Verantwortung für sein eigenes Leben abgenommen. Für Kierkegaard waren Hegel und die Romantiker aus genau demselben Holz geschnitzt.«
»Ich kann verstehen, dass er wütend wurde.«
»Sören Kierkegaard wurde 1813 in Kopenhagen geboren und von seinem Vater sehr streng erzogen. Von seinem Vater hatte er auch eine religiöse Schwermut geerbt.«
»Das klingt nicht so gut.«
»Nein. Wegen dieser Schwermut fühlte er sich als junger Mann sogar gezwungen, eine Verlobung zu lösen, was vom Kopenhagener Bürgertum gar nicht gut aufgenommen wurde. So wurde er früh zu einer ausgestoßenen und verspotteten Person. Naja – und mit der Zeit biss er selber auch ganz schön scharf um sich. Mehr und mehr wurde er zu dem, was Ibsen später als ›Volksfeind‹ bezeichnet hat.«
»Alles wegen einer gelösten Verlobung?«
»Nein, nicht nur deshalb. Vor allem gegen Ende seines Lebens wurde er ein immer schärferer Kritiker der ganzen europäischen Kultur. Ganz Europa sei unterwegs in den Bankrott, meinte er. Er glaubte, in einer Zeit ohne Leidenschaft und Engagement zu leben und wetterte gegen die laue und laxe Haltung der Kirche. Seine Kritik am so genannten ›Sonntagschristentum‹ war alles andere als rücksichtsvoll.«
»Heute sollten wir wohl eher vom ›Konfirmationschristentum‹ reden. Die meisten lassen sich doch nur noch wegen der Geschenke konfirmieren.«
»Ja, da hast du Recht. Für Kierkegaard war das Christentum gleichzeitig so überwältigend und so vernunftwidrig, dass es nur ein Entweder-Oder geben konnte. Es sei unmöglich, meinte er, ›ein wenig‹ oder ›bis zu einem gewissen Grad‹ Christ zu sein. Denn entweder sei Jesus am Ostersonntag auferstanden – oder nicht. Und wenn er wirklich von den Toten auferstanden sei, wenn er wirklich um unseretwillen gestorben sei – dann sei das so überwältigend, dass es unser ganzes Leben prägen müsse .«
»Ich verstehe.«
»Kierkegaard merkte nur, dass die Kirche und die meisten Christen seiner Zeit eine geradezu schulmeisterliche Einstellung zu religiösen Fragen hatten. Für ihn selber war das undenkbar. Religion und Vernunft waren für ihn wie Feuer und Wasser. Es reiche nicht, das Christentum für ›wahr‹ zu halten, meinte er. Christlicher Glaube bedeute, in Jesu Fußstapfen zu treten.«
»Und was hatte das mit Hegel zu tun?«
»Oh. Vielleicht haben wir am falschen Ende angefangen.«
»Dann schlage ich vor, du schaltest den Rückwärtsgang ein und fängst noch mal von vorne an.«
»Kierkegaard nahm schon mit siebzehn Jahren sein Theologiestudium auf, interessierte sich dann aber mehr und mehr für philosophische Fragen. Mit 28 machte er mit der Abhandlung ›Der Begriff der Ironie mit ständiger Beziehung auf Sokrates‹ seinen Doktor. Darin rechnet er ab mit der romantischen Ironie und dem unverbindlichen Spiel der Romantiker mit der Illusion. Der romantischen stellte er die ›sokratische Ironie‹ gegenüber. Auch Sokrates hatte sich ja des Stilmittels der Ironie bedient, aber nur, um seine Zuhörer zu noch größerem Lebensernst zu erziehen. Sokrates war für Kierkegaard, im Gegensatz zu den Romantikern, ein existenzieller Denker, das heißt, einer, der seine ganze Existenz in seine philosophische Reflexion miteinbezieht. Den verspielten Romantikern unterstellte er, dass sie das nicht täten.«
»Aha.«
»Nachdem er seine Verlobung gelöst hatte, ging Kierkegaard 1841 nach Berlin, wo er unter anderem bei Schelling Vorlesungen hörte.«
»Ist er dort mit Hegel zusammengetroffen?«
»Nein, Hegel war schon zehn Jahre zuvor gestorben, aber noch immer herrschte Hegels Geist in Berlin und in weiten Teilen Europas. Sein ›System‹ wurde nun als eine Art Totalerklärung für alle nur denkbaren Fragen benutzt. Kierkegaard bezog die radikale Gegenposition und erklärte, die ›objektiven Wahrheiten‹, mit denen sich die Hegelianische Philosophie beschäftige, seien für die Existenz des einzelnen Menschen vollkommen unwesentlich.«
»Welche Wahrheiten sind denn dann wesentlich?«
»Wichtiger als Suche nach der einen WAHRHEIT in Großbuchstaben war Kierkegaard die Suche nach den
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