Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
ausdrücklich aufmerksam. Natürlich beeinflussen sich Basis und Überbau einer Gesellschaft gegenseitig. Hätte Marx das geleugnet, wäre er ein ›mechanischer Materialist‹ gewesen. Weil er aber eingesehen hat, dass zwischen Basis und Überbau auch ein Wechselverhältnis, eine Spannung besteht, bezeichnen wir ihn als dialektischen Materialisten . Du erinnerst dich, was Hegel unter einer dialektischen Entwicklung verstand. – Und übrigens kannst du dir merken, dass Platon weder als Töpfer noch als Winzer tätig war.«
»Ich verstehe. Willst du noch mehr über den Tempel sagen?«
»Ja, noch ein bisschen. Wenn du dir seine Basis genau ansiehst, kannst du sie mir vielleicht beschreiben?«
»Die Säulen stehen auf einem Fundament aus drei Ebenen oder Stufen.«
»So können wir auch in der Basis der Gesellschaft drei Ebenen unterscheiden. Ganz unten ist das, was Marx als die natürlichen Produktionsbedingungen einer Gesellschaft bezeichnet. Darunter versteht er die naturgegebenen Verhältnisse, die eine Gesellschaft sozusagen vorfindet, also die Art der Vegetation, die Rohstoffe, Bodenschätze und so weiter. Sie bilden die eigentlichen Grundmauern einer Gesellschaft und diese Grundmauern setzen klare Grenzen dafür, welche Produktion in der Gesellschaft möglich ist. Dadurch setzen sie auch klare Grenzen dafür, welche Gesellschaft und welche Kultur an einem Ort überhaupt existieren können.«
»In der Sahara ist zum Beispiel der Heringsfang unmöglich. Und in Lappland der Dattelanbau.«
»Du hast es verstanden. Aber die Menschen denken in einer Nomadenkultur auch ganz anders als zum Beispiel in einem Fischerdorf in Nordnorwegen. Die nächste Stufe bilden die Produktivkräfte einer Gesellschaft. Hierbei denkt Marx an die Arbeitskraft der Menschen selber, aber auch an ihre Geräte, an ihre Werkzeuge und ihre Maschinen, die so genannten Produktionsmittel.«
»Früher sind sie zum Fischen gerudert, heute wird der Fisch von riesigen Trawlern gefangen.«
»Und damit berührst du auch schon die dritte Stufe der Basis einer Gesellschaft. Hier wird es etwas komplizierter, denn nun geht es darum, wer die Produktionsmittel in einer Gesellschaft besitzt und wie die Arbeit in ihr organisiert ist, um die Besitzverhältnisse also und die Arbeitsteilung. Marx nennt das die Produktionsverhältnisse in einer Gesellschaft. Sie bilden die dritte Stufe.«
»Ich verstehe.«
»Bisher können wir also festhalten, dass Marx zufolge die Produktionsweise in einer Gesellschaft darüber bestimmt, welche politischen und ideologischen Verhältnisse wir in ihr vorfinden. Es ist kein Zufall, dass wir heute anders denken – und eine etwas andere Moral haben – als die Menschen zum Beispiel in einer alten Feudalgesellschaft.«
»Marx glaubte also nicht an ein zu allen Zeiten gültiges Naturrecht.«
»Nein, die Antwort auf die Frage, was moralisch richtig ist, war für Marx ein Produkt der gesellschaftlichen Basis. In der Tat ist es ja kein Zufall, dass in einer alten Bauerngesellschaft die Eltern bestimmten, wen ihre Kinder heiraten sollten. Es ging schließlich auch darum, wer den Hof erbte. In einer modernen Großstadt sind die sozialen Verhältnisse anders, also sucht man sich auch seine Lebenspartner anders. Wir können unsere Zukünftigen auf einem Fest oder in der Disko kennen lernen, und wenn wir nur verliebt genug sind, vielleicht schon mal eine Wohnung zusammen nehmen.«
»Ich würde es mir nicht gefallen lassen, dass meine Eltern mir einen Mann aussuchen.«
»Nein, denn auch du bist ein Kind deiner Zeit. Marx betont außerdem, dass es zumeist die herrschende Klasse in einer Gesellschaft ist, die bestimmt, was falsch ist und was richtig. Denn alle Geschichte, meinte er, sei die Geschichte von Klassenkämpfen , das heißt von Auseinandersetzungen darüber, wem die Produktionsmittel gehören sollen.«
»Tragen denn nicht auch Gedanken und Ideen der Menschen dazu bei die Geschichte zu verändern?«
»Ja und nein. Marx war sich darüber im Klaren, dass die Verhältnisse im Überbau einer Gesellschaft auf deren Basis zurückwirken; aber er gestand dem Überbau keine selbständige Geschichte zu. Was die Geschichte von der Sklavengesellschaft der Antike bis zur Industriegesellschaft vorwärts getrieben hat, waren seiner Ansicht nach vor allem Veränderungen in der Basis.«
»Ja, das hast du schon gesagt.«
»In allen Phasen der Geschichte existierte Marx zufolge ein Widerspruch zwischen zwei dominierenden Gesellschaftsklassen.
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