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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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werden, eben weil er sich in immer kleinere Teilchen zerbrechen lässt, und diese winzigen Tonklümpchen lassen sich nicht wieder zu neuen Gegenständen »zusammenstecken«.
    Heute können wir fast behaupten, Demokrits Atomlehre sei richtig gewesen. Die Natur ist wirklich aus verschiedenen Atomen zusammengebaut, die sich an andere binden und sich dann wieder von ihnen trennen. Ein Wasserstoffatom, das in einer Zelle auf meiner äußersten Nasenspitze sitzt, hat früher einmal zu einem Elefantenrüssel gehört. Ein Kohlenstoffatom in meinem Herzmuskel saß einmal im Schwanz eines Dinosauriers.
    Heute hat die Wissenschaft ermittelt, dass sich die Atome in noch kleinere »Elementarteilchen« aufteilen lassen. Solche Elementarteilchen nennen wir Protonen, Neutronen und Elektronen. Und vielleicht lassen sich auch die in noch kleinere Teilchen zerlegen. Aber die Physiker sind sich darüber einig, dass es irgendwo eine Grenze geben muss. Es muss kleinste Teile geben, aus denen die Natur aufgebaut ist.
    Demokrit hatte keinen Zugang zu den elektronischen Apparaten unserer Zeit. Sein einziges wirkliches Werkzeug war die Vernunft. Aber die Vernunft ließ ihm keine Wahl. Wenn wir erst akzeptieren, dass nichts sich verändern kann, dass nichts aus null und nichts entsteht, und dass nichts verschwindet, dann muss die Natur einfach aus winzigen Bauklötzchen bestehen, die zusammengesetzt und wieder voneinander getrennt werden.
    Demokrit rechnete nicht mit einer »Kraft« oder einem »Geist«, der in die Naturprozesse eingreift. Das Einzige, was es gibt, sind die Atome und der leere Raum, meinte er. Da er nur an das »Materielle« glaubte, bezeichnen wir ihn als Materialisten .
    Hinter den Bewegungen der Atome steckt also keine bestimmte »Absicht«. Das bedeutet aber nicht, dass alles, was geschieht, »Zufall« ist, denn alles folgt den unwandelbaren Gesetzen der Natur. Demokrit glaubte, dass alles, was passiert, eine natürliche Ursache hat, eine Ursache, die in den Dingen selber liegt. Er soll einmal gesagt haben, er wolle lieber ein Naturgesetz entdecken, als König von Persien werden.
    Die Atomtheorie erkläre auch unsere Empfindungen , meinte Demokrit. Wenn wir etwas empfinden, dann liegt es an den Bewegungen der Atome im leeren Raum. Wenn ich den Mond sehe, dann geschieht das, weil die »Mondatome« mein Auge treffen.
    Aber was ist mit dem Bewusstsein ? Das kann doch nicht aus Atomen bestehen, also aus materiellen »Dingen«? Doch – Demokrit stellte sich vor, dass die Seele aus einigen besonders runden und glatten »Seelenatomen« besteht. Wenn ein Mensch stirbt, wirbeln die Seelenatome nach allen Seiten davon. Danach können sie sich einer neuen Seele anschließen, die gerade gebildet wird.
    Das bedeutet, dass der Mensch keine unsterbliche Seele hat. Auch das ist ein Gedanke, den viele Menschen heute teilen. Sie glauben wie Demokrit, dass die Seele mit dem Gehirn zusammenhängt, und dass wir keine Form von Bewusstsein mehr haben können, wenn das Gehirn sich auflöst.
    Mit seiner Atomlehre zog Demokrit einen vorläufigen Schlussstrich unter die griechische Naturphilosophie. Er stimmte Heraklit darin zu, dass alles in der Natur »fließt«. Denn die Formen kommen und gehen. Aber hinter allem, was fließt, gibt es etwas Ewiges und Unveränderliches, das nicht fließt. Und das bezeichnete Demokrit als Atome.
    Beim Lesen schaute Sofie mehrmals aus dem Fenster, um festzustellen, ob der geheimnisvolle Briefeschreiber am Briefkasten auftauchte. Jetzt starrte sie nur noch auf die Straße, während sie sich überlegte, was sie da gelesen hatte.
    Sie fand Demokrits Gedankengang so schlicht – und doch so unglaublich schlau. Er hatte die Lösung für die Probleme des »Urstoffes« und der »Veränderungen« gefunden. Diese Frage war so kompliziert gewesen, dass die Philosophen mehrere Generationen lang daran geknackt hatten. Am Ende hatte Demokrit das ganze Problem dadurch gelöst, dass er einfach seine Vernunft benutzt hatte.
    Sofie hätte fast lachen müssen. Es musste einfach stimmen, dass die Natur aus winzigen Teilchen aufgebaut war, die sich nie verändern. Gleichzeitig hatte Heraklit natürlich damit Recht, dass alle Formen in der Natur »fließen«. Denn alle Menschen und Tiere sterben, und selbst ein Gebirge geht langsam in Auflösung über. Wichtig ist aber, dass auch dieses Gebirge aus kleinen, unteilbaren Teilchen besteht, die nie zerbrechen.
    Gleichzeitig hatte Demokrit neue Fragen gestellt. Zum Beispiel hatte er

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