Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Philosoph! Hier im Haus weiß man Ihren großzügigen Fernkurs in Philosophie sehr zu schätzen. Aber es quält auch, dass man nicht weiß, wer Sie sind. Wir bitten Sie deshalb, unter vollem Namen aufzutreten. Zum Ausgleich sind Sie herzlich zu einer Tasse Kaffee hier im Haus willkommen, lieber jedoch dann, wenn Mama nicht zu Hause ist. Sie geht von Montag bis Freitag von 7.30 bis 17.00 Uhr zur Arbeit. Ich selber gehe während dieser Zeit zur Schule, bin aber, außer am Donnerstag, immer um Viertel nach zwei zu Hause. Außerdem koche ich recht gut Kaffee. Im Voraus vielen Dank.
Viele Grüße von Ihrer aufmerksamen Schülerin Sofie Amundsen, 14 Jahre
Ganz unten auf den Bogen schrieb sie: »Um Antwort wird gebeten«.
Sofie kam ihr Brief zu feierlich vor. Aber es war nicht so leicht zu entscheiden, mit welchen Worten sie an einen Menschen ohne Gesicht schreiben sollte.
Sie steckte den Brief in einen rosa Briefumschlag und klebte ihn zu. Auf den Umschlag schrieb sie: »An den Philosophen!«
Das Problem war, wie sie den Brief in den Briefkasten legen sollte, ohne dass ihre Mutter ihn fand. Sie musste ihn hineinlegen, ehe ihre Mutter nach Hause kam. Gleichzeitig durfte sie nicht vergessen, am nächsten Morgen früh, noch ehe die Zeitung kam, im Briefkasten nachzusehen. Wenn während des Abends oder der Nacht kein neuer Brief an sie gekommen war, musste sie den rosa Umschlag wieder an sich nehmen.
Warum musste bloß alles so kompliziert sein?
An diesem Abend ging Sofie früh auf ihr Zimmer, obwohl Freitag war. Ihre Mutter versuchte, sie mit Pizza und dem Fernsehkrimi zum Bleiben zu verlocken, aber Sofie behauptete, sie sei müde und wolle im Bett lesen. Während die Mutter den Bildschirm anstarrte, schlich Sofie sich mit ihrem Brief zum Briefkasten.
Ihre Mutter machte sich ganz offenbar Sorgen. Sie hatte in einem ganz neuen Ton mit Sofie gesprochen, seit sie das große Kaninchen und den Zylinder zur Sprache gebracht hatte. Sofie wollte ihr keine Sorgen machen, aber jetzt musste sie auf ihr Zimmer gehen, um den Briefkasten im Auge behalten zu können.
Als die Mutter gegen elf Uhr zu ihr kam, saß Sofie am Fenster und starrte auf die Straße hinunter.
»Du beobachtest doch wohl nicht den Briefkasten?«, fragte die Mutter.
»Warum nicht?«
»Ich glaube wirklich, du bist verliebt, Sofie. Aber wenn er einen neuen Brief bringt, dann bestimmt nicht mitten in der Nacht.«
Himmel! Sofie konnte diesen Verliebtheitskitsch nicht ausstehen. Aber sie musste die Mutter wohl in diesem Glauben lassen.
Die Mutter fuhr fort:
»Hat er das mit dem Kaninchen und dem Zylinderhut gesagt?«
Sofie nickte.
»Er ... er nimmt doch wohl keine Drogen?«
Jetzt tat sie Sofie wirklich Leid. Sie konnte einfach nicht mehr länger zusehen, wie ihre Mutter sich solche Sorgen machte. Ansonsten war es natürlich totaler Blödsinn zu glauben, dass witzige Gedanken irgendetwas mit Rauschgift zu tun haben mussten. Die Erwachsenen waren wirklich manchmal ganz schön bescheuert.
Sie drehte sich um und sagte:
»Mama, ich verspreche dir hier und jetzt, dass ich das nie ausprobieren werde ... und ›er‹ nimmt auch keine Drogen. Aber er interessiert sich sehr für Philosophie.«
»Ist er älter als du?«
Sofie schüttelte den Kopf.
»Gleich alt?«
Sie nickte.
»Er ist sicher ganz toll, meine Liebe. Und jetzt glaube ich, du solltest versuchen zu schlafen.«
Aber Sofie saß noch lange da und starrte auf die Straße. Gegen ein Uhr war sie so müde, dass ihr immer wieder die Augen zufielen. Beinahe wäre sie schon ins Bett gegangen, aber da entdeckte sie plötzlich einen Schatten, der aus dem Wald kam.
Draußen war es fast ganz dunkel, aber immer noch hell genug, um die Umrisse eines Menschen zu erkennen. Es war ein Mann und Sofie hielt ihn für ziemlich alt. In ihrem Alter war er jedenfalls nicht! Auf dem Kopf trug er eine Baskenmütze oder so etwas.
Einmal schien er zum Haus hochzusehen, aber Sofie hatte kein Licht brennen. Der Mann ging zum Briefkasten und steckte einen großen Umschlag hinein. Er hatte den Umschlag gerade losgelassen, als er Sofies Brief entdeckte. Er schob die Hand in den Briefkasten und fischte den Brief heraus. Im nächsten Moment war er schon wieder unterwegs in den Wald. Er lief auf den Waldweg zu – und war verschwunden.
Sofie spürte ihr Herz in ihrer Brust hämmern. Am liebsten wäre sie im Nachthemd hinter ihm hergerannt. Aber nein, das traute sie sich doch nicht; sie wagte nicht, mitten in der Nacht hinter
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