Sohn Der Nacht
aber du mußt dich jetzt ausruhen, und ich bin sicher, es wird sich alles finden ...«
Furcht überkam Katie. »Meggan!«
»Gregory scheint weggelaufen zu sein. Bei Sonnenuntergang war er draußen im Hinterhof, und deine Mom war auch da. Sie hat nur eine Sekunde den Rücken gekehrt, und als sie wieder hinsah, war er weg. Ich bin sicher, er ist irgendwo hin ter dem Haus in den Pinien. Die Polizei sucht das ganze Gelände ab...«
»War Merrick da?«
»Was? Nun, ja, deine Mom sagte, er sei am späten Nach mittag gekommen, um Gregory zu einem Ausflug abzuholen, aber sie sagte nein, und er ging wieder weg ...«
Katie hängte mitten im Satz auf. Ihr Herz pochte vor Ter ror. Merrick hat Gregory mitgenommen!
Nein, nicht Gregory, bitte ...
Katie preßte die Hand auf die Stirn und kämpfte mühsam um Fassung. Wohin würde Merrick ihn bringen?
In sein Haus, dachte Katie.
Sie ging zur Ankleidekommode und wühlte verzweifelt darin herum, bis sie den Schlüssel gefunden hatten, den Merrick ihr einst gegeben hatte, als sie noch ein Liebespaar gewe sen waren. Sie eilte ins Badezimmer und nahm eine weitere Ritalin-Kapsel, die sie diesmal mit Wasser herunterspülte. Im Erdgeschoß angekommen, blieb sie am Schrank stehen und nahm die Schachtel mit der .357er Magnum und den Patronen darin an sich ...
»Sind Sie soweit, daß ich Detective Cooke anrufen kann?«
Katie ließ beinahe die Schachtel fallen. Ihr Herz pochte, als sie sich zu Etta umwandte und sich ein Lächeln abzwang. »Nicht ganz«, sagte sie. »Ich brauche etwas aus der Apotheke. Dann werde ich zurückkommen, und Sie können ihn anru fen.«
Ettà blickte zweifelnd drein, aber Katie lächelte sie beruhi gend an. Sie zwang sich, gelassen und ruhig zu ihrem Auto zu gehen. Sie startete den Cutlass und fuhr langsam die Straße hinunter, bis sie um die nächste Ecke gebogen war. Sie jagte hinaus nach Wisconsin zu Merricks Haus im oberen Nord west -Washington. Die zweite Dosis Ritalin brachte ihr Rück grat zum Tanzen und ließ die Finger nervös auf dem Lenkrad trommeln. Sie konnte spüren, wie die Droge ihre Erregung steigerte, aber dagegen ließ sich nichts machen. Sie brauchte jetzt auch die letzten Kraftreserven, die sie noch irgend finden konnte.
Was, wenn Merrick ihn nicht zu sich nach Hause geholt hatte?
Katie wurde langsamer und trat erneut das Gaspedal durch. Selbst wenn Gregory nicht dort war, bestand dort immer noch die beste Chance, irgendein Anzeichen zu finden, wohin Merrick ihn gebracht haben könnte.
Merrick, warum? dachte sie. Wenn du ihm etwas antust, werde ich dich töten. So wahr mir Gott helfe.
Vor seinem Haus hielt sie an. Als sie drinnen Lichter sah,
spürte sie neue Hoffnung - und Angst. Sie nahm den Revol ver aus der Schachtel, lud ihn im Licht der Straßenlaternen und überprüfte die Tasche ihres Ärztekittels, um sich zu ver gewissern, daß die Spritze noch immer dort drin war. Dann rannte sie die Auffahrt hinauf und auf die Veranda. Als sie durch die Schwingtüren kam, erstand ganz ungewollt ein Bild von Sommernächten hier mit Merrick vor ihren Augen, eingelullt vom leichten Quietschen der Kette. An der Tür wollte sie den Schlüssel ins Schloß stecken, dann erstarrte sie zu Eis, als sie drinnen ein Kind schreien hörte.
Gregory!
In einer Agonie aus reiner Angst rammte sie den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn.
Katie jagte durch die Haustür, wobei sie die .357er Magnum auf die Zimmerdecke über sich gerichtet hielt, um Gregory nicht in Gefahr zu bringen. Da war er, auf dem Fußboden! Seine schmalen Schultern vornübergebeugt, ließ er gerade einen weiteren entsetzten Schrei hören. Ihr Herz zersprang fast vor Terror. Was war los? War er verletzt?
Er wandte nach ihr um und hörte sofort auf zu weinen. »Mommy!« Mit einem Arm hob sie ihn auf, dann hörte sie ein Geräusch aus den Tiefen des Hauses. Merrick schoß durch die Küchentür und riß im Laufen seinen Revolver aus dem Schul terhalfter. Sein Gesicht war dunkel vor Wut. Entsetzt deutete sie mit dem Revolver auf ihn. »Fallen lassen!« schrie sie.
Statt dessen deutete er mit seinem Dienstrevolver auf eine Stelle knapp über ihrer Schulter. »Setz Gregory ab«, sagte er mit leiser Stimme, »und geh von ihm weg.«
Sie wollte sich widersetzen und begriff dann doch, daß sie es tun mußte - sie konnte es nicht riskieren, daß Gregory von
einem Schuß verletzt wurde. Vorsichtig setzte sie ihn auf den Boden und ging drei oder vier Schritt zur Seite; fast
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