Sohn der Verdammnis: Die Chronik der Erzengel. Roman (German Edition)
Worte mit einer Handbewegung beiseite. »Lass gut sein, Onkel Lawrence. Mitgefühl war nie deine starke Seite.« Sachlich fügte er hinzu: »Die antiretroviralen Medikamente wirken bei mir nicht mehr. Ich sterbe.«
Der alte Mann nickte, dann schürzte er die Lippen.
»Der Tod ist ein alter Freund für meinesgleichen.« Er blickte eindringlich in die tiefen grauen Augen seines jungen Freundes, dann runzelte er die Brauen und murmelte: »Aber ein Feind für dich, Nicholas De Vere.«
Nick rollte die Augen. »Ich weiß, was du meinst, Lawrence. Wir haben das schon so oft diskutiert, seit ich zwölf war.«
Der Professor schlug geistesabwesend nach einer Fliege vor seiner Nase.
»Dein störrisches Leugnen einer wie auch immer gearteten höheren Macht negiert in keiner Weise deren Existenz, Nicholas.« Lawrence’ blaue Adleraugen funkelten voller Groll. »Deine ignorante Zurückweisung des Offensichtlichen ist wie das verzweifelte Aufbegehren eines winzig kleinen …«
»… Käfers an der Windschutzscheibe.« Nick grinste.
Lawrence sah ihn finster an, dann wurde sein Blick weicher.
Nick lächelte. Lawrence St. Cartier, ein Ex- CIA -Agent und Experte für Altertümer – doch im Herzen war er immer noch der alte Jesuit.
»Du hast gesagt, es sei von größter Wichtigkeit, dass ich dich hier aufsuche, Lawrence. Welche seltene Antiquität hast du in Bali aufgetrieben?«
»Ah!« Lawrence winkte einem Mönch, der unter den Zypressen hervortrat.
»Ich wusste, dass ich auf deine unheilbare Besessenheit mit seltenen Antiquitäten zählen konnte. Ich werde es dir beim Abendessen erklären. Ein Nachmittagsschläfchen und etwas Sonnenschein werden dir guttun. Bruder Antonius, bring bitte Mr. De Vere zu seinem Zimmer. Zelle Nummer neun, wenn ich mich recht entsinne.«
Der alte Mönch verneigte sich und bedeutete Nick mit einer Handbewegung, ihm durch den Zypressenhain zu folgen.
Lawrence St. Cartier blickte ihnen beunruhigt nach, während der hagere junge De Vere über den gepflegten Rasen des Klostergartens humpelte, schwer auf einen antiken Gehstock mit Silberknauf gestützt. Ein Abschiedsgeschenk von Klaus von Hausen.
Der Professor stieß einen tiefen Seufzer aus. Danach ging er hinüber zu einer kleinen, offenen koptischen Gartenkapelle zehn Schritte zu seiner Linken.
Vor dem kunstvoll gemeißelten steinernen Kruzifix kniete Professor Lawrence St. Cartier nieder und beugte demütig das Haupt, um für die Seele von Nicholas De Vere zu beten.
VI
LILY UND ALEX
Manhattan, New York
D ie Telefone in Jason De Veres Hauptquartier im Herzen von Manhattan läuteten unentwegt, und seine drei bemerkenswert effizienten Assistentinnen hatten alle Hände voll zu tun.
Jontil Purvis nahm den siebten Anruf auf Jasons Privatleitung auf ihre übliche ruhige Art entgegen. Sie legte das Gespräch in die Warteschleife.
»Mr. De Vere?«
Auf dem Monitor vor sich sah sie Jason über den Asphalt des Penthausdachs auf seinen Privathubschrauber zugehen. Er steckte sich den Empfänger ins Ohr.
»Ich sagte: Keine Anrufe!«, schrie er gegen den Lärm der Hubschrauberturbine und der Rotorblätter an.
»Den hier werden Sie bestimmt annehmen wollen«, schnurrte Jontil Purvis in ihrem unerschütterlichen Südstaatenakzent. »Es ist Lily.«
Jason stieg in den Hubschrauber und ließ sich in den ledergepolsterten Sitz fallen.
»Stell sie durch!«, bellte er.
Jason blickte finster auf das hübsche, dunkelhaarige sechzehnjährige Mädchen auf dem Monitor des Hubschrauber-Kommunikationssystems.
»Lily«, knurrte er.
Brighton, Südengland
Julia St. Cartier stand in ausgebleichten Levis-Jeans und einem weißen Baumwoll-T-Shirt am Fenster und sah amüsiert zu, wie Lily mit ihrem Vater verhandelte, der sechstausend Kilometer entfernt jenseits des Atlantiks am Telefon wütete.
Durch die hohen Fenster ihres georgianischen Stadthauses hatte man einen ungehinderten Blick auf die betriebsame Uferpromenade des Seebads Brighton. Es war Winter, und die Temperaturen lagen nur knapp über dem Gefrierpunkt. Aber wie in Großbritannien üblich hatte sich an jedem öffentlichen Ort eine Vielzahl von Menschen eingefunden, die sich lautstark bemerkbar machten – egal, ob sie nun einkauften, arbeiteten oder aßen.
Julia lächelte.
Dabei galten eigentlich die Amerikaner als laut. Aber nachdem sie mehr als ihr halbes Leben an der amerikanischen Ostküste verbracht hatte, war Julia überzeugt, dass es sich genau andersherum
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