Sohn der Verdammnis: Die Chronik der Erzengel. Roman (German Edition)
Bett.«
Julia zog die Brauen hoch. »Das wäre ein Novum.«
Lily beendete das Gespräch und manövrierte ihren Rollstuhl zum Fenster hinüber, wo sie mit finsterer Miene auf den stürmischen Kanal hinausblickte, über den sich die Abenddämmerung herabsenkte.
Julia unterdrückte ein Schmunzeln und ging zu ihr hinüber.
»Er wird sich schon beruhigen, Liebes.« Sie legte die Hand auf Lilys Schulter. »So wie immer.«
Lily sah zu ihr auf. Ihre Katzenaugen blitzten vor Empörung.
»Er erwartet, dass ich wie ein Hündchen pariere, wenn er pfeift, und zu ihm nach New York komme, wo er doch genau weiß, dass Polly und ich mit Alex nach Georgetown gehen wollen.« Sie sah ihre Mutter flehentlich an. »Wir haben das schon seit Ewigkeiten geplant, Mum – es ist Pollys siebzehnter Geburtstag. Ihre Eltern sind in Tansania. Alex verlässt sich darauf, dass sie mitkommt – und sie geht nicht ohne mich.«
Die Türglocke läutete.
»Wenn man vom Teufel spricht …« Lily zwinkerte Julia mit einem Auge zu.
Ein hochgewachsener junger Mann trat in das große Wohnzimmer und kam auf sie zu, wobei er sich unter einem der Kristalllüster ducken musste, die Julia von einer ihrer vielen Antiquitätenreisen aus Schweden mitgebracht hatte.
Alexander Lane-Fox, von seinen Freunden nur Alex genannt, war fast eins neunzig groß, schlank und auf seine Art ebenso hübsch wie seine Mutter, das Supermodel Rachel Lane-Fox. Sein dunkles Haar war von blonden Strähnen durchzogen. Er trug zerrissene Levis und eine ausgebeulte Jacke und unter dem Arm einen Apple-Laptop.
»Hallo, Tante Jules.« Er küsste Julia freundschaftlich auf die Wange, dann wirbelte er Lilys Rollstuhl herum. »Hallo, Lily. Sieht so aus, als hätte ich gleich zwei Angebote – von der New York T imes UND von der Washington Post .«
Lily ergriff seine Hand. »Alex, das ist wunderbar! Du wolltest doch immer in die USA ! Mum – Alex tritt in deine Fußstapfen.«
Alex grinste.
»Nein …«, sagte er betont. »Mich interessiert nur der seriöse Journalismus.«
Julia gab ihm einen Klaps mit der Hand. »He, benimm dich, junger Mann! Ich kenne dich schon, seit du in den Windeln gesteckt hast!«
Alex ging weiter durch das Wohnzimmer, vorbei an den makellosen weiß-silbernen französischen Sofas, und betrat die Küche.
»Ist Polly fertig?«, fragte er laut.
»Sie steht noch unter der Dusche«, rief Lily. »Sie kommt jeden Moment.«
Polly Mitchell war Lilys beste Freundin aus dem Internat. Die beiden waren seit ihrem neunten Lebensjahr miteinander befreundet. Während Lily die temperamentvolle Anführerin darstellte, war Polly die perfekte Kontrastfigur dazu. Polly Mitchell war eines von acht Geschwistern, die Tochter eines anglikanischen Geistlichen, der mit Leidenschaft soziale Projekte wie Aids-Waisenhäuser in Tansania und Malawi unterstützte und vehement gegen den Menschenhandel in China und Osteuropa kämpfte.
Die Rodean-Schule hatte Polly aufgrund eines Stipendiums aufgenommen. Das stille, sanftmütige, fleißige Pfarrerskind und die lockere, ungenierte Tochter des Medienmoguls waren rasch unzertrennlich geworden. Julia hatte staunend mit angesehen, wie die dünne, schlaksige Polly mit fünfzehn über Nacht von einem schüchternen, zurückhaltenden blassen Kind zu einem Teenager mit Supermodel-Qualitäten aufgeblüht war.
Und Alex Lane-Fox, Sohn von Julias bester Freundin Rachel Lane-Fox, hatte sich total in sie verknallt.
Seitdem waren Polly und er ein Herz und eine Seele.
Nachdem Rachel Lane-Fox an jenem schicksalhaften 11 . September auf dem American-Airlines-Flug 11 ums Leben gekommen war, hatte Alex zunächst bei Jason und Julia und später bei seinem Vater, einem Börsenmakler, in Manhattan gelebt. Das ging so lange gut, bis seine erste Stiefmutter auf den Plan trat. Alex hatte einen heftigen Streit mit seinem Vater gehabt, seine Sachen gepackt und alle geschockt, indem er zu Rachels Eltern Rebekah und David Weiss in den Nordwesten Irlands gezogen war. Damals war er vierzehn gewesen.
Seine Großeltern hatten ihn in seinem Wunsch bestärkt, die Journalistenlaufbahn einzuschlagen. Mit siebzehn hatte er ein Volontariat bei der Dubliner Tageszeitung Irish Independent angetreten und war dann zwei Jahre lang beim Guardian in London angestellt gewesen. Er hatte das Kriegsbeil mit seinem Vater längst begraben und in den letzten drei Jahren den Sommer mit ihm und seiner Ehefrau Nummer drei verbracht, doch seine Großeltern waren verwandte Seelen. Seine Loyalität
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