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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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hysterisch lachten.
    Josefine wandte sich angewidert ab. Was für ein sensationslüsternes Volk! Das Wohl der Fahrerinnen war ihnen ebenso gleichgültig wie das Rennen selbst – was sie sehen wollten, waren nackte Haut und haarsträubende Unfälle.
    Der Startschuss fiel und vertrieb Josefines düstere Gedanken. Sogleich setzten sich auf der gegenüberliegenden Geraden ein Dutzend Frauen auf ihren Velos in Bewegung. Alle trugen elegante, aber praktische Velobekleidung, bestehend aus enganliegenden Oberteilen und weit geschnittenen Hosenröcken, die ihre schnelle Fahrt nicht behinderte. Die eine oder andere hatte ein fesches Hütchen auf dem Kopf, die meisten jedoch hatten ihre Haare zu Zöpfen geflochten und diese eng am Kopf festgesteckt, so dass ihnen beim Fahren nichts ins Gesicht flatterte.
    Fasziniert folgten Jos Blicke dem Feld der Fahrerinnen. Schon nach einer halben Runde setzte sich Isabelle zusammen mit einer zweiten Frau von den anderen Fahrerinnen ab. Unter dem Jubel der Menge beugte sie sich noch tiefer über den Lenker, woraufhin ihr Velo noch schneller über die Bahn zu fliegen schien. Wie eng sie die Kurven nahm! Wie es sich wohl anfühlte, auf solch einer schnellen Bahn unterwegs zu sein? Das Sehnen in Jos Bauch wurde heftiger, aber nun war es ein anderer Hunger, der sie erfüllte. Er war so verzehrend, dass sie es kurze Zeit später nicht mehr aushielt. Abrupt wandte sie sich vom Renngeschehen ab und schlenderte über den Platz. In der Nähe der Ein- und Ausfahrt zur Rennbahn hatte sich eine Gruppe junger Männer versammelt. Allesamt trugen Velobekleidung, so dass Josefine vermutete, es handele sich um Mitglieder des Männervereins. Das Damenrennen schien sie nicht zu interessieren, denn statt zuzuschauen, führten sie eine heftige Diskussion. So unauffällig wie möglich trat Josefine näher an die Gruppe heran.
    »… und ich bleibe dabei – wer heutzutage nicht in der Lage ist, durchschnittlich fünfundzwanzig Stundenkilometer bei einem Straßenrennen zu fahren, hat im Wettkampf nichts verloren!«, sagte einer der Burschen heftig.
    »Fünfundzwanzig Stundenkilometer? Aufgrund wie vieler Rennen triffst du solch eine gewagte Aussage? Berücksichtigst du dabei all die Rennen, die in England, Frankreich und Deutschland pro Jahr stattfinden?«, wollte der nächste wissen.
    Josefine stutzte. War das nicht der blonde Mann, der sie bei ihrem ersten Besuch für eine Schankmagd gehalten hatte?
    So gelassen und selbstbewusst sie damals auch getan hatte, innerlich hatte sie wie Espenlaub gezittert. Alles war so neu und fremd gewesen, und als dann auch noch Isabelles Vereinskameradin Irene sie dermaßen mit Worten attackierte … Fast hätte sie damals den Mut verloren und wäre auf und davon gerannt. Aber hatte sie sich nicht vorgenommen, sich nicht mehr einschüchtern zu lassen? Von nichts und von niemandem. Und von blonden Burschen schon gar nicht, auch wenn sie zugeben musste, dass dieser eine ganz besondere Ausstrahlung hatte.
    Interessiert wollte sie sich noch ein paar Schritte näher heranpirschen, als er zu ihr herüberschaute. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Josefine durchfuhr es heiß, als sei sie bei etwas Verbotenem ertappt worden. Der Mann grinste belustigt. Hastig schaute sie fort und tat so, als würde sie etwas in ihrer Tasche suchen. Im nächsten Moment wurde die Aufmerksamkeit des jungen Mannes wieder von dem Gespräch übers Radfahren in Anspruch genommen.
    »Vergesst die lächerlichen fünfundzwanzig Stundenkilometer, das ist längst Schnee von gestern!«, sagte einer der Männer hochtrabend. »In Land’s End im letzten Herbst bin ich um die dreißig Stundenkilometer gefahren.«
    »Aber mit zwei Schrittmachern! Ohne die hättest du das nie geschafft, mein Lieber«, erwiderte der Blonde und tätschelte dem Angeber spöttisch die Schulter.
    Die Männer lachten, während der Angeber beleidigt schwieg.
    An eine kahle Esche gelehnt, folgte Josefine dem Gespräch, so gut es ging. Sie verstand nicht jedes Wort, aber dass Zahlen durch die Luft wirbelten, als wären es Herbstblätter im Wind, das verstand sie sehr wohl. Ein Geschwindigkeitsrekord jagte den nächsten! Die Frage, wer wann, wo und unter welchen Bedingungen am schnellsten gefahren war, schien das Wichtigste von allem zu sein. Als die Männer sich darüber nicht einig wurden, begannen sie, über die Messbarkeitskriterien bei Rennen zu streiten.
    Selbst wenn Jo direkt neben den Velozipedisten gestanden hätte,

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