Solang die Welt noch schläft (German Edition)
Zeitungen gelesen, die im Verein auf den Tischen auslagen.
Der Verkäufer, noch immer mit Adrian ein paar Räder weiter hinten beschäftigt, stutzte. Fast unwillig bedeutete er Adrian, ihm zu Josefine zu folgen. Dort angekommen sagte er: »Ein Import aus England, aus Liverpool, um exakt zu sein. Der Full Roadster ist ein Sicherheitsrad der ersten Güte. Der Hersteller behauptet, es sei die Maschine mit dem besten Verhältnis von Preis und Leistung. Die Fahreigenschaften …« Gekonnt spulte der Verkäufer sein Wissen ab, und Adrian hörte interessiert zu. Erneut ließen beide Männer Josefine links liegen.
Jo glaubte vor Wut platzen zu müssen. Sie trat einen energischen Schritt auf die Männer zu, die daraufhin erschrocken zurückwichen. »Falls es Ihnen entgangen sein sollte – ich bin diejenige, die sich mit dem Gedanken trägt, dieses Velo zu kaufen. Also sollten Sie mich als Kundin bitte ebenso ernst nehmen«, sagte sie zu dem Mann, der daraufhin noch einen Schritt nach hinten tat und dabei fast ein Rad umwarf.
Jo fuhr fort: »Ansonsten kann ich mich jederzeit anderswo umschauen. Anbieter von Velozipeden gibt es in Berlin schließlich wie Pilze im Wald!« Zufrieden mit dem verdutzten Blick des Verkäufers, ergänzte sie: »Und jetzt würde ich gern eine Probefahrt mit dieser Maschine machen!« Sie zeigte auf das englische Rad.
»Aber … der Roadster ist unser bestes Rad. Äußerst exklusiv! Für Damen ist es nicht gedacht«, entgegnete der Verkäufer entsetzt. »Und teuer ist es auch. Sehr teuer sogar …«
Jo zuckte nur mit den Schultern. »Das interessiert mich alles nicht.«
»Tun Sie besser, was die junge Dame Ihnen sagt«, mischte sich Adrian schmunzelnd ein. »Mein Eindruck ist, dass sie mehr Ahnung von Rädern hat als die meisten Herren.«
Die Probefahrt erwies sich als wahrer Traum. Josefine hätte laut jubilieren können, als sie die Hauptstraße durch Feuerland entlangfuhr. Wie oft hatte sie von diesem Moment geträumt, und nun war er endlich da.
Als sie zurückkam, wartete Adrian mit gespannter Miene auf sie.
»Und?«
Jo grinste übers ganze Gesicht.
Mit zittrigen Händen zählte sie zweihundertsiebzig Mark ab und reichte sie dem Verkäufer, der bis zum Schluss nicht gerade zuvorkommend gewesen war. Dass sich Frauen derart in Geschäfte einmischten und dann höchstpersönlich so viel Geld auf den Tisch legten, war er nicht gewohnt.
»Und – wann machen wir die erste Fahrt zusammen?«, fragte Adrian, kaum dass sie wieder draußen waren. Im Gegensatz zu Josefine hatte er sich für kein neues Rad erwärmen können. »Wir könnten uns morgen im Verein treffen. Ich trainiere täglich am späten Nachmittag.« Er winkte die Droschke herbei, die im Schatten der Halle auf sie gewartet hatte, und wollte den Fahrer schon anweisen, das Velo hinten aufzuladen, als Josefine ihn zurückhielt. Sie legte eine Hand auf seinen rechten Arm. Doch als habe sie einen elektrischen Schlag bekommen, zog sie sie sogleich wieder zurück. Mit Mühe zwang sie sich zu sagen: »Sei mir nicht böse, aber … die erste Fahrt möchte ich gern allein machen. Jetzt, sofort. Ob mir das Fahren auf der Bahn überhaupt Spaß macht, muss ich erst herausfinden.«
»Ich verstehe.« Ein wenig verdutzt hielt Adrian ihr das Velo entgegen.
Bevor Jo darüber nachdenken konnte, umarmte sie ihn heftig. »Ich danke dir, ohne dich wäre ich jetzt nicht stolze Besitzerin dieses Wunderwerks der Technik!«
Er erwiderte ihre Umarmung, in der sie einen Moment länger als nötig verharrten. Jo wurde schwindlig.
»Aber die zweite Fahrt – die gehört mir? Von mir aus können wir auch gern über Land fahren«, sagte Adrian, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten, und es hörte sich an, als wollte er sie zum Tanz auffordern.
Jo biss sich auf die Unterlippe.
»Und was ist mit Isabelle?«, sagte sie gedehnt. Sie hatte der Freundin nicht erzählt, dass Adrian sie zum Radkauf begleiten wollte. Ob er seine Verlobte darüber in Kenntnis gesetzt hatte?
»Isabelle?« Einen Moment lang wirkte Adrian irritiert, als könne er mit dem Namen nichts anfangen. »Sie fährt nicht gern durch Berlin«, sagte er dann beiläufig. »Auf der Rennbahn, wo alle sie bewundern können, fühlt sie sich am wohlsten.«
Besonders freundlich klang es nicht gerade, wie er von seiner Verlobten sprach, ging es Jo durch den Sinn. Doch durch den Hüpfer, den ihr Herz tat, war sie so abgelenkt, dass ihr das Nachdenken schwerfiel. Sollte sie oder sollte sie
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