Solang die Welt noch schläft (German Edition)
verschwand auch sie.
Hunger hatte Adrian danach keinen mehr. Vielmehr wollte er Josefines Werkstatt sehen, und natürlich führte Jo ihn gern herum.
»Du bist perfekt ausgerüstet«, sagte er, nachdem sie ihm voller Begeisterung alles gezeigt hatte. »Und mit Velos kennst du dich auch aus, das habe ich ja schon erleben dürfen.«
Josefine grinste. »Und? Hat sich die neue Vorderradgabel bewährt?«
Adrian nickte. »Dennoch habe ich vor, mir noch ein zweites Rad zu kaufen. Eine Tourenmaschine für längere Straßenfahrten. Mein jetziges Velo ist nur fürs schnelle Fahren auf der Bahn gedacht.« Ohne Rücksicht auf den feinen Stoff seiner Ausgehhose setzte er sich auf den alten Werkstatthocker.
»Du bist ein ziemlich begeisterter Velofahrer, oder?«, sagte Jo und zog sich den zweiten Hocker heran und ließ sich neben Adrian nieder. Unauffällig versuchte sie, einen Blick auf die verrostete Werkstattuhr zu erhaschen. Schon halb sechs. Bald würde Adrian wieder gehen …
»Begeistert ist fast noch untertrieben – ich bin süchtig nach dem Radfahren! In jeder freien Minute sitze ich auf dem Rad, es ist wie eine unersättliche Gier«, sagte Adrian mit einem schrägen Lachen.
»Ob du es glaubst oder nicht – aber das verstehe ich nur zu gut. Eine unstillbare Sucht … besser kann man das nicht ausdrücken. Wer dieses Freiheitsgefühl einmal erlebt hat, mag nie mehr darauf verzichten.« Jo und Adrian lächelten sich in großem Einvernehmen zu.
»Aber wie kommt es dann, dass du kein eigenes Velo besitzt und dich außerdem weigerst, dir eins auszuleihen?«
»Das hatte persönliche Gründe«, sagte Jo rasch. »Aber dank Frieda wird mein größter Traum nun schneller wahr, als ich dachte. Endlich kann ich mir auch ein Velo kaufen«, sagte sie und strich sich die wirren Haarfransen aus der Stirn. Hätte sie sich bloß mehr Mühe mit ihrer Frisur gegeben! Aber wer konnte denn ahnen, dass außer ihren Freundinnen noch mehr Besuch kam?
»Allerdings weiß ich gar nicht, wo ich hingehen soll. Bis vor kurzem hatte ich noch ganz andere Probleme, als zu verfolgen, welcher Hersteller Velos zu welchen Preisen und in welcher Qualität anbietet.« Innerlich hielt sie die Luft an. Vielleicht würde Adrian ihr seine Hilfe anbieten?
Zu ihrer großen Enttäuschung sagte er jedoch nur: »Der Velomarkt ist in der Tat sehr schwer überschaubar geworden. Immer mehr Anbieter drängen auf den Markt, dennoch ist die Bandbreite an Velos selbst nicht wesentlich gewachsen. Und ein gutes Velo ist nach wie vor sehr teuer – in meinen Augen zu teuer, bedingt durch die viele Handarbeit, die darin steckt. Ich bin der festen Überzeugung, dass man Velos günstiger produzieren könnte, wenn man es nur wollte. Aber in den Augen der Hersteller wie der Käufer ist das Velo nach wie vor ein Luxusartikel.« Seine Augen funkelten unternehmungslustig, er sah aus, als hätte er zu diesem Thema noch viel mehr zu sagen, doch dann winkte er ab. »Verzeih, ich will dich nicht langweilen. Bestimmt denkst du, ich hätte kein anderes Thema als dieses. Aber so ist es ja gar nicht.« Befangen schaute er zu Boden. »Ich hätte da nämlich noch eine Idee …«
»Ja?«, sagte Jo atemlos.
Doch Adrian stand auf. »Ich muss jetzt gehen, Isabelle wartet nicht gern«, sagte er mit leisem Bedauern. Die Türklinke schon in der Hand, drehte er sich nochmals zu ihr um. »Ich wünsche dir alles Glück der Welt, Josefine Schmied.«
»Danke«, sagte Jo mit belegter Stimme, während sie gegen eine plötzlich in ihr aufsteigende Trübsal ankämpfte. Woher sie kam, wusste sie nicht. Sie wusste lediglich, dass sie noch lange mit Adrian in der Werkstatt hätte sitzen können.
Er war schon fast zum Gartentor hinaus, als er abrupt stehen blieb. Schnell, als wollte er sich keine Chance geben, es sich nochmals zu überlegen, sagte er: »Was meinst du – sollen wir uns gemeinsam auf die Suche machen? Ich nach meinem Tourenrad und du nach einem Damenvelo?«
Jos Trübsal verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war. Glücklich sagte sie: »Wie wäre es Ende der kommenden Woche?«
»Die ganze Straße spricht darüber.« Sophie Berg schüttelte den Kopf. »Da kommt sie nach all den Jahren so mir nichts, dir nichts wieder daher und stellt alles auf den Kopf!« Unauffällig strich sie mit einem Finger über Claras Anrichte, als wollte sie sie auf Staubfreiheit prüfen.
Clara, die gerade den Tisch fürs Mittagessen deckte, beschloss, die Geste zu ignorieren. Sie hatte erst
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