Solang die Welt noch schläft (German Edition)
heute früh Staub gewischt, und zwar ausgiebig.
»Erstens stellt Josefine gar nichts auf den Kopf. Sie hat lediglich eine Reparaturwerkstatt eröffnet. Und zweitens reden die Leute nicht nur, sondern nehmen Josefines Dienste schon rege in Anspruch. Als ich gestern auf dem Weg zu euch in die Apotheke war, sah ich, wie gleich drei Leute auf einmal in die Werkstatt gingen. Und das schon am vierten Tag«, sagte sie.
»Und gerade eben stand deine Freundin zusammen mit Oskar Reutter vor der Werkstatt. Sie schienen irgendetwas per Handschlag zu besiegeln«, sagte ihr Mann, der gerade zur Tür hereinkam.
Eilig lief Clara in die Küche, um die Speiseterrine zu holen. Es war Freitag, also gab es Bratkartoffeln mit Hering. Morgen würde es Gemüseeintopf geben. Und am Montag süße Pfannkuchen. Gerhard schätzte eine gewisse Regelmäßigkeit.
»Eine solche Reparaturwerkstatt hat hier im Viertel schon längst gefehlt, Josefine hatte also den richtigen Riecher«, nahm Clara den Faden des Gesprächs wieder auf. Währenddessen füllte sie Gerhards Teller. In seiner kurzen Mittagspause musste alles zügig gehen. Bei der zweiten Kelle fiel ein Stück Bratkartoffel auf die weiße Tischdecke.
Missbilligend zog Gerhard seine Augenbrauen hoch, auf der anderen Seite des Tischs tat es ihm ihre Mutter gleich.
»Oskar Reutter? Hoffentlich weiß er, worauf er sich da einlässt. Ein Handschlag ist doch bei so einer nichts wert«, sagte Sophie Berg abfällig und strich eine vermeintliche Falte in Claras blütenweißer Tischdecke glatt.
Mit verschränkten Armen schaute Clara ihre Mutter wütend an. »Warum redest du so gemein daher? Und warum nennst du sie nicht beim Namen? Sie heißt Josefine. Du kennst sie von Kindesbeinen an, sie war schon früher meine beste Freundin und ist es noch.«
»Beste Freundin, wenn ich das höre! Clara, meine Liebe, du bist einfach zu gutmütig. Ich muss wirklich besser darauf achtgeben, dass die Leute dich nicht weiter so ausnutzen«, sagte Gerhard mit liebevoll tadelndem Unterton. »Wochenlang hast du nach dem Haus von Frieda Koslowski geschaut. Hast den Garten und das Katzenvieh versorgt. Und wie hat es diese Josefine dir gedankt? Hat sie dir am vergangenen Sonntag auch nur eine Mark dafür angeboten?«
Stirnrunzelnd schaute Clara ihren Mann an. »Als ob ich für solche Nachbarschaftsdienste Geld nehmen würde! Ich habe es gern gemacht.«
»Das ist schön, Clara, das ehrt dich. Aber soll ich etwa hinnehmen, dass du wegen solcher ›Nachbarschaftsdienste‹ deine häuslichen Pflichten vernachlässigst? Stundenlang saß ich am Sonntag mutterseelenallein hier, während du dich mit deinen Freundinnen vergnügtest.« Er fuchtelte mit der linken Hand in Richtung Friedas Haus.
»Aber ich habe dir doch schon erklärt, dass ich einfach die Zeit vergessen habe. Es tut mir leid –«, hob Clara an, wurde jedoch von ihrer Mutter scharf unterbrochen.
»Musst du deinem Mann ständig widersprechen? Von mir hast du solch ein unziemliches Verhalten gewiss nicht gelernt, mein Kind. Gerhard hat einen anstrengenden Tag in der Praxis, bei Tisch solltest du ihn mit erquicklichen Themen unterhalten und nicht dauernd widerspenstige Reden führen. Ich persönlich hatte für Josefine Schmied übrigens noch nie etwas übrig«, fügte sie schmallippig hinzu.
Gerhard lächelte seine Schwiegermutter warmherzig an, dann griff er nach ihrer rechten Hand und drückte sie kurz. »Du solltest nicht jedes Wort deiner Tochter so ernst nehmen, in Claras Zustand denken die meisten Frauen nicht mehr klar. Wie oft erlebe ich in meiner Praxis, dass sogar nur noch wirres Zeug aus ihrem Mund kommt«, sagte er. Im nächsten Moment wurde sein Ton kühl, sein Blick kälter. »Und was diese Josefine Schmied angeht – sie ist kein guter Umgang für dich, das ist mir inzwischen bewusst geworden. Es ist völlig widernatürlich, dass sich eine Frau mit technischen Angelegenheiten beschäftigt. Am Ende macht die holde Weiblichkeit den Männern noch die Arbeit streitig!« Er schnaubte. »Dass eine ledige Frau selbständig eine Werkstatt eröffnet, ist ein Unding. Sobald es meine Zeit erlaubt, werde ich zur Handwerkerinnung gehen und sie auf diese liederlichen Umstände aufmerksam machen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Umtriebe dieser … Person danach schnell ein Ende haben werden.« Er lächelte Clara und ihre Mutter an, dann widmete er sich wieder seiner Suppe.
Clara spürte ein heftiges Rumoren in ihrem Bauch. Das Kind war es nicht.
23.
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