Solang die Welt noch schläft (German Edition)
freundlich und verlier jetzt nicht die Nerven, sagte sie sich.
»Du lieber Himmel, ich stelle doch nichts her, so wie ein gelernter Handwerker, sondern repariere lediglich ein paar kleine Dinge, die andere Menschen kaputtgemacht haben. Oder die im Laufe der Zeit von selbst kaputtgegangen sind.« Noch während sie sprach, hörte sie hinter sich einen leisen Ratsch. Im nächsten Moment trat Isabelle vor den Mann.
»Es ist so: Fräulein Schmied hilft so ungeschickten Menschen wie mir. Schauen Sie, vorhin habe ich mir meinen Rock am Gartenzaun aufgerissen, und Fräulein Schmied hat versprochen, ihn mir gleich jetzt zu flicken. Das ist doch nett, nicht wahr? Ich gebe ihr ein paar Kreuzer dafür und bin meine Sorge los.«
Fräulein Schmied! Josefine konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen, sie ahnte, was hinter Isabelles Taktik steckte. In der Hoffnung, dass der Mann sich durch ihre Frauensachen von seiner Fragerei abhalten ließe, zerrte sie Friedas alten Wollekorb, der fast im Feuer gelandet wäre, hinter der Werkbank hervor.
»Manchmal muss ich sogar für andere ein paar Reihen häkeln oder stricken, stellen Sie sich das vor!« Sie kicherte kindisch.
Der Mann schob skeptisch seine Unterlippe nach vorn, sein Kaiser-Wilhelm-Bart zitterte. »Ihre Tätigkeit besteht also größtenteils aus Handarbeiten. Aber wie kommt es dann, dass diese Werkstatt bestens ausgestattet ist?« Er klopfte mit seinem Spazierstock auf die Esse, die daraufhin metallisch tönte.
Josefine senkte den Blick und versuchte, ihrer Stimme einen traurigen Klang zu geben. »Das stammt alles noch von dem verstorbenen …« Dem verstorbenen wer? Hilflos suchte sie nach dem passenden Wort. Sie hatte Friedas Mann Robert weder gut gekannt noch gemocht.
»Gott hab ihn selig«, half Isabelle aus.
Der Mann zwirbelte seinen Bart. »Reparaturen und Näharbeiten. Allem Anschein nach hat man mich aufgrund falscher Annahmen hierhergeschickt, einen Verstoß gegen die Handwerksordnung kann ich nicht erkennen.« Er klang fast bedauernd. »Wenn Sie mir jetzt noch Ihre Gewerbeanmeldung und Ihren Nachweis über die Abgaben – viele können es ja nicht sein – zeigen, sind Sie mich wieder los.« Zum ersten Mal seit seiner Ankunft gestattete er sich eine Art Lächeln.
»Die Gewerbeanmeldung …« Josefine wand sich wie ein Aal. »Tja …«
»Das ist doch nicht zu fassen!«, rief Isabelle, kaum dass der Mann gegangen war. »Du eröffnest die Werkstatt und vergisst, sie auf dem Amt anzumelden? Und Abgaben zahlst du auch nicht?«
Josefine hätte vor Scham im Boden versinken mögen. Einerseits war sie froh, dass Isabelle da gewesen war – wer weiß, ob sie den Mann allein so einfach in Schach gehalten hätte. Andererseits wurmte es sie schrecklich, dass die Fabrikantentochter ihr klägliches Versagen mitbekommen hatte.
»Ich habe doch erst seit zwei Wochen geöffnet! Und es gab so viele andere Dinge zu erledigen, da … da …« Hilflos brach sie ab. »Ich hätte schon noch daran gedacht«, fügte sie lahm hinzu. Gedankenverloren knetete sie den Lappen, ohne sich darum zu kümmern, dass ihre Hände ganz schwarz wurden.
»Wer’s glaubt, wird selig«, spottete Isabelle von ihrem Platz an der Werkbank aus. »Und nun? Der Mann kommt in zwei Wochen wieder, und du musst einen Bürgen vorweisen. Wie gedenkst du an einen solchen zu kommen?«
Was geht dich das an?, hätte Jo Isabelle am liebsten angeschrien. Stattdessen sagte sie leise: »Ich weiß es nicht.«
Der Beamte war sehr aufgebracht gewesen. »Angesichts Ihrer Unreife und offensichtlichen Unerfahrenheit in geschäftlichen Belangen scheint es mir angebracht, dass ein Herr eine Bürgschaft für Sie leistet und somit ein Auge auf Sie hat«, hatte er gesagt.
Wer sollte für sie bürgen – und wofür war eine Bürgschaft nötig? Die Frage hätte sie ihm stellen sollen, stattdessen hatte sie eingeschüchtert geschwiegen. »Hoffentlich ist das nicht der Anfang vom Ende«, murmelte sie mit gesenktem Haupt vor sich hin.
»So schnell wirst du doch nicht die Flinte ins Korn werfen! Soll ich Adrian fragen?«, sagte Isabelle in versöhnlicherem Ton.
»Bloß nicht!« Josefines Kopf fuhr nach oben, scharf schaute sie die Freundin an. »Wehe, du erzählst im Verein oder sonst wo herum, wie dumm ich mich angestellt habe.«
Isabelle winkte ab. »Adrian würde dir bestimmt helfen, das ist seine Veranlagung. Noch lieber würde er zwar alle Fabrikarbeiter dieser Welt retten, aber wenn ich ihn lieb bitte,
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