Solang die Welt noch schläft (German Edition)
rechten Hand in der Luft herum, während sie sich mit der linken auf die Werkbank stützte. Ihre Augen funkelten wie warmer Bernstein, ihre Wangen waren gerötet, sie sah hübscher aus als je zuvor. »Und dann erst der Salon, in dem die Zeremonie stattfand! Alles in Rot gehalten, ein fürstliches, ach was, ein kaiserliches Rot, wie du noch keins gesehen hast.«
Josefine nickte, während sie Oskar Reutters Eisentruhe mit einem alten Lappen und einer übelriechenden, aber wirksamen Polierpaste den letzten Schliff verlieh. In den letzten Tagen hatte sie die alten Bänder geschweißt, neue Nieten angefertigt und die Truhe runderneuert, so dass sie wie neu aussah. Nun wollte sie fertig werden mit dem Stück, denn an der Werkstattwand lehnte schon neue Arbeit: das erste Velo, das ihr zur Reparatur gebracht worden war! Es gehörte einer der Frauen im Verein, Josefine sollte an der Lenkstange einen Gepäckkorb befestigen und außerdem das verzogene Schmutzblech wieder in Ordnung bringen. Sie konnte es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen.
»Und dann die Abendroben der Damen … So viel Seide und Spitze auf einmal habe ich noch nicht gesehen. Stell dir vor, die Kaiserin …«
Seit Isabelle vor einer Stunde mit einem duftenden Hefekuchen angekommen war, erzählte sie ohne Pause. Josefine hatte ihre Arbeit kurz unterbrochen und Tee für sie beide gekocht. Während sie daran nippte und den noch lauwarmen Kuchen mit den Fingern zerpflückte, schrie alles in ihr: Ich will das nicht hören! Dennoch lauschte sie geduldig Isabelles Schilderungen – die Einladung ins Berliner Stadtschloss schien sie mächtig beeindruckt zu haben. Nach einer halben Stunde war Jo unruhig geworden – zu viel Arbeit wartete auf sie. Doch statt zu gehen, wie Josefine gehofft hatte, war Isabelle ihr in die Werkstatt gefolgt, wo sie ihren Sermon fortsetzte.
»Zu essen gab es leider nichts, ich bin fast gestorben vor Hunger! Aber die meisten Gäste hätten wahrscheinlich aus lauter Ehrfurcht vor dem Kaiser eh keinen Bissen heruntergebracht.« Sie lachte spöttisch. »Und Adrians Vater war so aufgeblasen vor lauter Stolz über seinen neuen Ehrentitel, dass kein Häppchen mehr in seinem Wanst Platz gehabt hätte.«
In dem Moment ging die Türglocke und ein Mann trat ein. Josefine war gerade dabei, den schwarz angelaufenen Truhenboden zu polieren. Schweiß lief ihr vor Anstrengung über die Stirn, sie strich sich ihre klebrig gewordenen Haare aus dem Gesicht und lächelte bemüht freundlich. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Josefine Schmied?« Der Mann, der einen grauen Anzug trug und dazu einen Bart wie der Kaiser, verzog keine Miene.
»Ja.« Stirnrunzelnd schaute sie zu, wie ihr Besucher steifbeinig zu ihrer Werkbank stakste und dort, ohne um Erlaubnis zu fragen, seine Aktentasche abstellte.
»Sie sind hier die Besitzerin?«
»Ja, warum?« Jo und Isabelle tauschten einen Blick. Was wollte der Mann? Wer war er?
»Gestatten, Johann Schmolke, ich komme von der Handwerkskammer. Man hat mir zugetragen, dass Sie hier einen Handwerksbetrieb führen, ohne die dafür nötigen Qualifikationen zu besitzen. Ihre Papiere bitte!« Der Mann wedelte unfreundlich mit der Hand vor Josefines Nase herum.
»Welche Papiere? Welche Qualifikationen?«
»Die Gewerbeanmeldung, Ihren Abgabennachweis, der Kleine Befähigungsnachweis«, leierte der Mann herunter, »und in Ihrem Fall möchte ich außerdem noch Unterlagen sehen, die Ihre volle Geschäftsfähigkeit nachweisen.« Er musterte sie von oben bis unten. »Sind Sie überhaupt schon volljährig?«
»Natürlich«, sagte Jo. »Aber wozu –«
»Hätten Sie vielleicht zuerst die Freundlichkeit, uns Ihre Papiere zu zeigen, Herr Schmolke?«, fiel Isabelle ihr ins Wort. »Schließlich kann jeder behaupten, von der Handwerkskammer zu kommen.« Ihr Ton war freundlich, aber bestimmt.
Während der Mann empört in seiner Tasche kramte, dachte Josefine fieberhaft nach. Sie besaß nichts von dem, was der Mann verlangte! Was tun? Mit zitternden Lidern warf sie einen Blick auf den Ausweis, den ihr der Beamte unter die Nase hielt. Verflixt! Er kam tatsächlich von der Handwerkskammer.
»Um was für einen Betrieb handelt es sich hier eigentlich? Ich sehe eine Esse, ich sehe Werkzeug … Ist dies eine Schmiedewerkstatt? Eine Schlosserei? Gar ein Klempnerbetrieb? Ich habe noch nie von einer … Dame gehört, die einem dieser Berufsbilder angehört!« Er zeigte theatralisch auf ein paar Rohre.
Jo atmete tief durch. Bleib
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