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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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festgestellt hatte, war die Tatsache, dass im ganzen Kaiserreich Fahrradfabriken wie Pilze aus dem Boden schossen. Viele Fabriken und Werkstätten, die mit der Herstellung von Eisen- und Gummiwaren beschäftigt waren, widmeten sich inzwischen nebenher auch der Veloproduktion – witterten sie dort doch ein gewinnbringendes Geschäft. Es gab jedoch auch Fabriken, die ausschließlich Velos herstellten. Adrian hatte sich die Adressen etlicher Firmen besorgt, dann war er losgefahren. Mannheim, Hannover, Bielefeld und nun Nürnberg – allerdings nie an einem Mittwoch! Denn mittwochs am frühen Morgen fuhren Josefine und er gemeinsam Rad. Der Termin war ihm heilig geworden.
    Was seine Nachforschungen bisher ergeben hatten, war hoffnungsvoll und deprimierend zugleich: Die Fahrradproduktion in Deutschland nahm tatsächlich von Jahr zu Jahr enorm zu. Die Preise jedoch blieben stabil hoch. So manchem Hersteller war schlicht nicht an einer günstigen Preisentwicklung gelegen, wiederum andere wehrten sich gegen eine maschinelle Herstellung von Velos, in ihren Augen war Handarbeit das einzig Wahre.
    »Wir sind doch nicht in Amerika, wo Maschinen den Menschen die Arbeit wegnehmen«, hatte der Velofabrikant in Mannheim geringschätzig zu ihm gesagt. Adrian schnaubte leise. In Amerika konnten sich dafür auch arme Menschen ein Fahrrad leisten.
    Der Schaffner kam, Adrian zeigte sein Billett. »Aus Berlin kommen Sie? Dann grüßen Sie mal den Kaiser!«
    Adrian lächelte angestrengt. Und nein, eine heiße Suppe oder eine Wurststulle wollte er nicht. Er wollte seine Ruhe, um nachdenken zu können.
    Josefine … Immer wieder schlich sie sich in seinen Kopf. Aber mochte er wirklich über sie nachdenken? Zu kompliziert, befand er und zwang seine Gedanken zurück zu seinen Fabrikbesuchen.
    Er war überall freundlich empfangen worden. »Sie sind der Sohn vom großen Gottlieb Neumann?«, hatte der Mannheimer Fabrikant ihn gefragt. Und hatte wissen wollen, ob sein Vater denn nun ebenfalls in die Veloproduktion einzusteigen gedenke, was Adrian bedauernd verneint hatte. »Warum sind Sie dann hier?«, fragte der Mann ihn skeptisch.
    Was hätte er darauf antworten sollen? Adrian schnaubte. Dass er nach einem Weg suchte, um sich selbständig machen zu können? Dass er endlich nicht mehr auf seinen Vater angewiesen sein wollte? Er wollte der EWB den Rücken kehren, und wenn der Eklat noch so groß wäre!
    Nie, nicht ein einziges Mal, hatte Adrian seinen Traum, preiswerte Fahrräder verkaufen zu können, bisher laut werden lassen. Wozu auch? Bei wem sollte er auf Verständnis hoffen? Die ganze Welt nahm doch an, dass er die Rolle des Nachfolgers gern und willig ausfüllte. Niemand ahnte, dass ihm die Arbeit in der EWB keinen Spaß machte – außer Josefine. Dass der Verkauf von Velos sein Lebensinhalt werden sollte, hatte er jedoch bisher selbst Josefine verschwiegen. Er wollte ihr gegenüber nicht nur von abstrakten Plänen schwafeln. Er wollte etwas vorweisen, er wollte ihr imponieren. Sie sollte zu ihm aufschauen und sagen: Gut gemacht!
    Gut? Bisher sah alles nach einem Versagen auf ganzer Linie aus … So gesehen war es ganz richtig, dass er bisher seinen Mund gehalten hatte.
    Der Zug fuhr in Leipzig ein. Auch hier gab es Velofabrikanten, gleich zwei an der Zahl, beide standen auf seiner Liste. Doch Adrian hatte sich gegen eine Übernachtung und einen Besuch der Fabriken am nächsten Tag entschieden. Wozu sich noch eine Velofabrik anschauen? So wie es aussah, gab es keine einzige Fabrikationsart, mit der es möglich war, ein Velo zum Verkaufspreis von weniger als hundert Mark herzustellen. Außer ihm schien auch niemand Gefallen an diesem Gedanken zu finden.
    Mit leerem Blick starrte Adrian auf die Wälder und Ackerflächen, die sich hinter Leipzig erstreckten. Die Fichten wirkten düster und bedrohlich, ein Schwarm hungriger Saatkrähen kreiste über den Äckern, in der Hoffnung, eine ausgehungerte Maus oder sonst etwas Fressbares zu entdecken.
    Was nun? War er am Ende seines Traumes angelangt? War das auch das Ende von einer gemeinsamen Zukunft mit der Frau, die er liebte und schätzte und mit der er sein Leben verbringen wollte, ganz gleich, was die Welt davon hielt?
    Das Ende seiner Träume … Der Gedanke erschreckte ihn, er griff sich an den Hals, löste seine Krawatte. Doch das Gefühl der Beklemmung, das Gefühl, nicht durchatmen zu können, blieb.
    Sein Leben war in Wahrheit gar nicht seins, daran änderten auch die paar

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