Solang die Welt noch schläft (German Edition)
Etwas Besonderes – er konnte diesen Satz schon nicht mehr hören! »Aber wenn Ihre Velos so überaus beliebt sind, müsste Ihnen doch daran gelegen sein, noch viel mehr davon zu produzieren«, sagte er und stellte damit die für ihn alles entscheidende Frage.
Carl Marschütz schaute seinen Gast anerkennend an. »Aus Ihnen spricht der wahre Unternehmer, das merke ich schon! Ja, diese Pläne gibt es in der Tat – wenn ich ehrlich bin, denke ich über nichts anderes nach als darüber, wie man günstige Velos für viele Menschen herstellen kann.«
Interessiert schaute Adrian sein Gegenüber an. Hatte sich die Reise doch gelohnt …
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen gern unsere Produktion.« Der Unternehmer führte Adrian vom Ausstellungsraum in eine große Halle, wo im trüben Schein vieler Gaslaternen mehrere Dutzend Männer damit beschäftigt waren, Velos zusammenzubauen. Es roch nach Gummi und nach Schmierfett, nach Bier und Männerschweiß, und die Männer unterhielten sich lautstark in fränkischem Dialekt bei der Arbeit. Adrian lächelte – was für ein Unterschied zu den sterilen Produktionsstätten der EWB !
»Wir haben unsere Produktion von hundert Velos im ersten Jahr immerhin schon auf vierhundert im letzten Jahr erhöht«, sagte Marschütz und versetzte damit Adrians Hoffnungen einen Dämpfer.
»Und was spräche dagegen, viertausend Velos zu produzieren? Ihre Halle wäre groß genug … Ich bin überzeugt davon, dass sich bei einer Massenproduktion die Herstellungskosten erheblich senken ließen.«
Carl Marschütz runzelte die Stirn. »Da bin ich mir nicht so sicher. Für die Veloproduktion bedarf es vieler Spezialisten. Und geschulte Fachkräfte wollen gut bezahlt sein, das kostet.«
»Sie könnten aber auch große Maschinen anschaffen und viele Teile des Velos maschinell herstellen.«
Der Mann schüttelte entsetzt den Kopf. »Das Velo als ein maschinell hergestelltes Produkt? So etwas mag vielleicht bei Schürzen und Kochtöpfen funktionieren, aber nicht bei einem solch exklusiven Artikel wie dem Veloziped. Wie sollte ich das gegenüber meinen Kunden vertreten?«
Wieder nichts!, dachte Adrian, als er sich kurze Zeit später auf den Weg zum Bahnhof machte. Es war ein öder Wintertag, von denen es schon genug gegeben hatte. Ein kalter Ostwind pfiff um die kahlen Bäume. Adrian knöpfte seinen Mantel zu und schlang sich den Schal enger um den Hals.
Es war nicht sein erster Besuch dieser Art. Zuvor war er bereits in Bielefeld gewesen, bei der Fahrradfabrik Dürkopp & Co., die sich damit rühmte, die erste »Serienproduktion« von Fahrrädern zu haben. Dass die Firma zuvor hauptsächlich Nähmaschinen hergestellt hatte, hatte für Adrian vielversprechend geklungen – so jemand kannte sich doch bestimmt bestens mit effektiven, industriellen Produktionsmethoden aus. Bei seinem Besuch hatte Adrian dann feststellen müssen, dass auch in Bielefeld noch viel in Handarbeit gemacht wurde, seiner Ansicht nach zu viel. Dementsprechend waren die Räder von bester Qualität, jedoch sehr teuer gewesen – unter einer Serienproduktion stellte Adrian sich wahrlich etwas anderes vor. Täuschte er sich oder hatte ein Rad »Diana« geheißen?, fragte er sich, während er auf seinen Zug wartete. Was war das für eine Mode, Velos solche Namen zu geben! Entfernte man das Produkt durch diese Mythologisierung nicht noch viel weiter von den breiten Käuferschichten, als dass man es ihnen näherbrachte?
Es hatte leicht zu schneien begonnen. Der Nürnberger Bahnhof wirkte desolat und zwielichtig. Adrian war froh, als der Zug endlich einfuhr. Er suchte sich ein leeres Abteil, lehnte sich auf dem weichen Sitzpolster zurück und schaute aus dem Fenster in die farblose Landschaft. Die Schneeflocken hinterließen Schlieren auf dem schmutzigen Fenster. Adrian schloss die Augen und ließ seinen Gedanken freien Lauf.
»Ein Fahrrad für unter hundert Mark – warum findest du nicht einfach heraus, ob es nicht doch einen Hersteller gibt, der so etwas anbietet? Dann müsste dein Traum von einem Fahrradhandel für jedermann nicht für ewig ein Traum bleiben«, hatte Josefine im Mai des letzten Jahres zu ihm gesagt und ihn dabei herausfordernd angeschaut.
Anfangs hatte er sich nicht getraut. Wo sollte er anfangen? Und wie? Doch dann, im Herbst, hatte er Mut gefasst. Wann immer seine Arbeit in der EWB es ihm ermöglicht hatte, machte er sich für ein, zwei Tage auf den Weg, um Recherchen zu betreiben. Das Erste, was er
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